GESUND.AT: Herr Prof. Geissler, welche Therapien stehen bei Akuter Myeloischer Leukämie derzeit zur Verfügung und welche Kriterien bestimmen über den Therapieentscheid?
PROF. GEISSLER: Bei der Therapie der AML müssen wir zunächst entscheiden, wie fit die Patient:in ist, um festlegen zu können, welche Therapie in der individuellen Situation für die Patient:in den größten Nutzen bringt. Grundsätzlich spielt für fitte Patient:innen nach wie vor eine intensive Therapie eine große Rolle. Eine molekulare Charakterisierung der Leukämiezellen erlaubt es jedoch, die intensive Therapie mit zielgerichteten Medikamenten zu ergänzen. Dies steigert die Wirksamkeit der Therapie oft erheblich. Ältere, bei denen man mit einer intensiven Therapie zu viele Nebenwirkungen erwarten muss, sind heute in der Regel Kandidat:innen für eine Therapie mit einer hypomethylierenden Substanz und Venetoclax. Diese Kombinationstherapie hat das Gesamtüberleben der Patient:innen um etwa 50 % verlängert und gilt daher bei diesen Patient:innen als Standardtherapie.
Welche Entwicklungen gibt es hinsichtlich neuer zielgerichteter Therapien respektiv immunologischer Therapieansätze als Alternative zur Intensivtherapie?
Generell muss man sagen, dass durch den Einsatz zielgerichteter Medikamente die Wirksamkeit einer Therapie gesteigert werden kann. Und, dass die Toxizität einer zielgerichteten Therapie in der Regel geringer ist als jene einer vergleichbaren unspezifischen Therapie. Zielgerichtete Medikamente sind auch als Monotherapie wirksam und können in manchen Situationen eine unspezifische Therapie ersetzen. Immunologische Therapien, wie sie derzeit bei soliden Tumorerkrankungen oft mit großem Erfolg eingesetzt werden, spielen derzeit bei der Therapie der AML keine so große Rolle.
Welche Rolle spielt die Allgemeinmediziner:in hinsichtlich Diagnose und Nachbetreuung?
Die Betreuung von Patient:innen mit AML erfolgt in Österreich traditionellerweise in entsprechenden Zentren. Dennoch sollte die niedergelassene Ärzt:in über das Wesen der Therapie informiert sein und über die allfälligen Nebenwirkungen der Therapie Bescheid wissen, wenn die Patient:in zu Hause ist. Die wichtigste und gefährlichste Komplikation ist vermutlich die febrile Neutropenie. Diese liegt vor, wenn die Patient:in über 38 Grad fiebert bei einer Neutrophilenzahl <500/mcl. Speziell bei Patient:innen mit Komorbiditäten ist bei dieser Komplikation die Mortalität beträchtlich, weswegen Patient:innen in einer solchen Situation stationär werden sollten, um in diesem Setting eine parenterale Therapie mit breit wirksamen Antibiotika durchführen zu können.