Hausärzt:in 04/2025
Ärzt:in Assistenz 03/2024

Ehrliche Informationen übermitteln, ohne die Hoffnung zu zerstören

Eine Ordinationsassistent:in spricht mit einem trauernden Angehörigen.
Praktisch in jedem medizinischen Beruf gehört der Tod zum beruflichen Alltag.
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Ein Gespräch mit schwer kranken Patient:innen und deren Angehörigen erfordert besondere Sensibilität, Empathie und Professionalität. Ordinationsassistent:innen spielen hierbei eine wichtige Rolle, da sie oft als erste Ansprechperson fungieren.
Expertise
Lucia Sonnleitner

Mag.a Lucia Sonnleitner (Dipl. Lebens- und Sozialberaterin in Feldkirchen an der Donau OÖ.)

ÄRZT:IN ASSISTENZ: Welche spezifischen Herausforderungen bringt die Kommunikation mit schwer kranken bzw. todkranken Patient:innen mit sich? 

Mag.a SONNLEITNER: Wenn ein geliebter Mensch schwer oder todkrank ist, verändert sich alles. Inmitten dieser Unsicherheit steht Kommunikation als Brücke: zwischen Unsagbarem und dem, was Halt geben kann. Die größte Herausforderung liegt darin, aufrichtig Informationen zu übermitteln, ohne die Hoffnung zu zerstören. Hoffnung, die sich oft nicht auf Heilung, sondern auf Würde, Nähe oder verbleibende Lebensqualität richtet. Der Schlüssel dazu: Nicht um den Schmerz herumreden, sondern ihn mittragen – sprachlich, emotional, im Dasein. Hinzu kommt, dass Menschen in Krisensituationen Informationen nur begrenzt aufnehmen und verarbeiten können. Daher braucht es Geduld, Klarheit, Wiederholung. Doch ebenso wichtig ist die Art, wie Informationen vermittelt werden: achtsam, in kleinen Schritten, in einer Sprache, die nicht nur verstanden, sondern auch gefühlt werden kann. Es braucht ein ständiges Abwägen: "Was benötigt mein Gegenüber gerade – Information, Trost, Raum für Gefühle oder einfach Stille?" Die Kunst liegt nicht im perfekten Satz, sondern im ehrlichen Bleiben.

Wie wichtig ist die nonverbale Kommunikation in Gesprächen mit schwer kranken Patient:innen und deren Angehörigen und welche Signale sollten besonders beachtet werden?

In Momenten, in denen Worte fehlen – oder zu viel wären –, spricht der Körper lauter als unsere Stimme. Gerade wenn Gefühle wie Angst, Verzweiflung oder Überforderung im Raum stehen, sich ausbreiten, suchen Menschen unbewusst nach Zeichen von Sicherheit: Ist da jemand, der mich wirklich sieht? Ist da jemand, der nicht ausweicht, wenn es schwer wird? Besonders Angehörige "scannen" in Ausnahmesituationen intuitiv jede Regung des Gegenübers. Sie nehmen wahr, ob da jemand nur "funktioniert" oder ob da jemand wirklich mitgeht. Deshalb beginnt gelungene Kommunikation, lange bevor der erste Satz fällt, sie beginnt mit unserer inneren Haltung. Wichtig ist, mit der ganzen Haltung auszudrücken: "Ich sehe dich, ich nehme dich ernst." Das kann in Ausnahmesituationen mehr Halt geben als jede noch so gut gewählte Formulierung. 

Welche Strategien empfehlen Sie, um Vertrauen zwischen medizinischem Personal und Patient:innen oder Angehörigen aufzubauen, insbesondere in emotional belastenden Situationen?

Vertrauen entsteht, wenn Personen sich wirklich gesehen, gehört und verstanden fühlen. Nicht als Fall, nicht als "Schwierigkeit", sondern als Mensch. Das bedeutet: ehrliches Zuhören, ehrliches Antworten – auch auf unbequeme Fragen. Es braucht Mut zur Wahrheit, gepaart mit Feingefühl. "Ich weiß es nicht" kann in solchen Momenten ehrlicher und verbindlicher sein als jede beschwichtigende Phrase. Fachlich kompetent zu sein, ist die eine Seite – sich menschlich zeigen zu können, ist die andere. In der Verbindung dieser beiden Qualitäten liegt die Kraft, die schwersten Gespräche zu tragen. Vertrauen wächst dort, wo jemand nicht ausweicht, sondern bleibt. Und das ist das Kostbarste, was wir in diesen Momenten schenken können.

Wie können Angehörige in den Kommunikationsprozess einbezogen werden und welche Rolle spielen sie in der Entscheidungsfindung für die Patient:in?

Angehörige sind keine "Zuschauer:innen", sondern Teil des Prozesses – emotional, praktisch, manchmal auch rechtlich. Ihre Rolle ist also zutiefst bedeutend. Sie kennen die betroffene Person oft besser als alle Akten zusammen. Sie wissen, was ihr wichtig ist, vielleicht auch, was sie gesagt hat, als sie noch gesund war. Deshalb ist es entscheidend, Angehörige nicht nur zu informieren, sondern auch aktiv einzuladen: zu Gesprächen, zu Fragen, zu Entscheidungen. Besonders in palliativen Situationen ist der Blick von Angehörigen maßgeblich: "Was hätte sich die Patient:in gewünscht?" Gesten der Einladung ("Was denken Sie?") statt des Ausschlusses stärken die Angehörigen. Wenn Menschen spüren, dass sie Teil von etwas sind – nicht nur ein stilles Gegenüber –, können sie ihre Kraft entfalten. Gleichzeitig dürfen sie schwach sein, sie dürfen weinen, dürfen etwas nicht wissen, dürfen wütend oder verzweifelt sein. Gute Kommunikation lässt das zu. Sie bietet Raum. Sie urteilt nicht.

Welche "Fehler" beobachten Sie in der Kommunikation mit schwer kranken Patient:innen und wie können diese vermieden werden?

Einer der häufigsten Fehler besteht in der Vermeidung schwieriger Gespräche. Aus Angst davor, starke Emotionen auszulösen oder selbst überfordert zu sein, wird das Gespräch verschoben, beschönigt oder ganz vermieden. Doch gerade in existenziellen Situationen brauchen Menschen Orientierung, klare Informationen und das Gefühl, ernst genommen zu werden.

Die Fachsprache bewirkt oft ungewollt Distanz. Verständlich und einfach zu sprechen, zeugt von Respekt. Auch echtes Zuhören wirkt verbindend: Wer Raum gibt für Tränen, für Schweigen, für Widerspruch, schafft Verbindung. Nicht nur auf Worte achten, sondern auch auf das, was zwischen den Zeilen mitschwingt – auf Angst, Liebe, Wut, Hoffnung. Besonders wichtig: keine unrealistischen Versprechen. Schwer kranke Menschen und ihre Angehörigen spüren meist sehr genau, wie es wirklich um die Betroffenen steht. Sie brauchen keine falsche Hoffnung, sondern ehrliche und zugleich mitfühlende Kommunikation. Die zentrale Frage sollte dabei immer lauten: Dient das, was ich sage – oder bewusst nicht sage – dem Wohl, der Würde und der inneren Orientierung meines Gegenübers?

Die genannten Fehler sind meist ein Zeichen von Überforderung oder mangelnder Vorbereitung. Umso bedeutender ist es, dass Fachpersonen sich kontinuierlich mit der eigenen Haltung auseinandersetzen, sich austauschen, Supervision nutzen und bereit sind, dazuzulernen. 

Wie kann es bei aller Empathie gelingen, die professionelle Distanz zu wahren?

Diese Frage beschäftigt viele Menschen, die sich bei der Begleitung schwer kranker Patient:innen engagieren – und das völlig zurecht. Denn in einer Umgebung, in der Schmerz, Angst und Abschied so spürbar sind, ist es nicht leicht, ganz Mensch zu bleiben und zugleich professionell zu handeln. Die Antwort liegt nicht in kühler Abgrenzung, sondern in bewusster, achtsamer Nähe.

Empathie ist ein feiner innerer Grat zwischen Mitgefühl und Selbstschutz. Der Umgang damit gelingt besser, wenn wir gut für uns und unser emotionales Wohlbefinden sorgen. Rituale helfen: ein bewusstes Verabschieden nach einem schwierigen Gespräch, ein kurzes Innehalten, das Loslassen eines Themas, wenn man den Raum verlässt, oder ein emotional nährender Austausch im Team. Auch die Frage "Was brauche ich gerade, um bei mir zu bleiben?" kann ein innerer Anker sein. Wer spürt, wann es "zu nah" wird, ohne sich zu verschließen, und wer sich erlaubt, berührt zu sein, ohne handlungsunfähig zu werden, bewegt sich in einer Form von Professionalität, die tief menschlich ist.

An wen/welche Stelle können sich Angehörige in dieser schwierigen Situation wenden, wenn sie sich seelisch/psychisch überfordert fühlen?

Für Angehörige, die sich seelisch oder psychisch überfordert fühlen – und das ist völlig verständlich –, gibt es viele Anlaufstellen: psychosoziale Dienste, Kriseninterventionsteams, Palliativnetzwerke, aber auch Selbsthilfegruppen, in denen man sich verstanden fühlt. Und manchmal reicht es schon, mit jemandem zu sprechen, der einfach zuhört – ohne zu erklären, ohne zu reparieren. Auch therapeutische Begleitung kann sehr hilfreich sein. Es ist zutiefst menschlich, in Ausnahmesituationen Halt zu brauchen. Überforderung in dieser Situation ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck tiefer Verbundenheit dem schwer kranken Menschen gegenüber. Hilfe anzunehmen, bedeutet nicht, aufzugeben, sondern gut für sich selbst zu sorgen, um weiter für andere da sein zu können. 

Möchten Sie unseren Leser:innen sonst noch etwas zu diesem Thema sagen?

Die Kommunikation mit schwer kranken Menschen erfordert eine besonnene Haltung. Es geht nicht darum, perfekte Worte zu finden, sondern um echtes Dasein. Oft höre ich: "Aber wir haben dafür keine Zeit." Ich verstehe, wie eng der Alltag getaktet ist, doch ich bin überzeugt: Es braucht keine Extrazeit, um menschlich zu sein. Es braucht ein Bewusstsein, die innere Entscheidung, kurz innezuhalten und sich zu fragen: Wie möchte ich behandelt werden, wenn ich kaum noch Zeit habe? Diese Frage verändert etwas: in der Stimme, im Blick, im Tempo. Vielleicht hat jene Patientin, mit der man gerade spricht, nur noch wenige Begegnungen vor sich – und eine davon ist man selbst.