Hausärzt:in 06/2024

Die Neurobiologie hinter der Angst

Die Neurobiologie hinter der Angst
Patient:innen realisieren oft gar nicht, dass sie an einer Angsterkrankung leiden, und nehmen in erster Linie die körperlichen Beschwerden wahr, die sie häufig erstmals zum Arzt führen.
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Angsterkrankungen aus Sicht der Psychiatrie und der Neurowissenschaft: Priv.-Doz.in DDr.in Lucie Bartova im Gespräch über Angsterkrankungen und wie sich auftretende Beschwerden neurobiologisch erklären lassen.

Medizinische Expertise
Lucie Bartova

Priv.-Doz.in DDr.in Lucie Bartova (Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin in Wien)

HAUSÄRZT:IN: Welche Rolle spielt die Neurobiologie generell bei psychiatrischen Erkrankungen und im Konkreten bei Angststörungen?

Doz.in BARTOVA: Wir können die Entstehung bestimmter psychiatrischer Erkrankungen wie der Angsterkrankung oder der Depression mit dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell (auch: Diathese-Stress-Modell, Anm. d. Red.) erklären, welches das Zusammenspiel von genetischen Faktoren (z. B. familiäre Prädisposition) und Umweltfaktoren (z. B. die individuelle berufliche und familiäre Situation, der sozioökonomische Hintergrund) betont. Diese können die Entwicklung bzw. den Verlauf psychiatrischer Erkrankungen sowohl positiv als auch negativ beeinflussen.

Alle im Rahmen von psychiatrischen Erkrankungen auftretenden Beschwerden lassen sich sehr gut neurobiologisch erklären. Als Beispiel: Wenn ein Patient mit einer Angsterkrankung seine unterschiedlichen Symptome beschreibt und über eine Sorgenspirale berichtet, nervös und unruhig ist, möglicherweise auch unter Durchschlafstörungen und verschiedenen körperlichen Begleitbeschwerden leidet, kommt es im Gehirn zu einer Dysbalance in verschiedenen Neurotransmittersystemen. Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, GABA und Glutamat spielen hier eine große Rolle. Die verschiedenen Therapien, die bei Angsterkrankungen zum Einsatz kommen, beeinflussen genau diese Botenstoffsysteme. Auf der klinischen Ebene sehen wir eine Besserung der Symptome, die darauf beruht, dass die Dysbalance einer Harmonie weicht. Auf der funktionellen und strukturellen Ebene beobachten wir Veränderungen in Gehirnnetzwerken, die unter anderem in die Emotionsregulation involviert sind. Zudem wurden wiederholt Veränderungen in der Neuroplastizität beschrieben. Durch eine rechtzeitige und adäquate Therapie konnte wiederholt eine Normalisierung bzw. Verminderung dieser pathologischen neurobiologischen Veränderungen beobachtet werden.