Seltene Erkrankungen betreffen in Österreich rund 400.000 Menschen. Es gibt jedoch große Herausforderungen in deren Versorgung, ebenso wie in der Forschung zu diesen Erkrankungen. Eine verlässliche Datenbasis könnte helfen, nicht nur um das Vorkommen dieser Erkrankungen zu dokumentieren, sondern auch um besser Versorgung und Forschung zu ermöglichen. Beim 18. Rare Diseases Dialog der PHARMIG ACADEMY in der Wiener Urania wurde genau dies thematisiert.
Univ.-Doz. Dr. Ansgar Weltermann vom Tumorzentrum Oberösterreich erklärt: "Grundlage für den Aufbau eines Registers für seltene Erkrankungen ist meiner Erfahrung nach eine sehr klare Vision, was mit der Datensammlung und nachfolgenden Analysen aus den Daten langfristig erreicht werden soll". Dabei hängt es davon ab, ob das Register in der unmittelbaren klinischen Versorgung von Patient:innen eingesetzt werden kann, ob sich dafür eine Finanzierung durch öffentliche oder projektbezogene Fördermittel eignet. Ist dies der Fall, lässt sich bereits am Start des Registers eine langfristige Finanzierung sichern. Wichtig ist von Beginn eine hochqualitative Erfassung der Daten anhand der definierten Parameter.
Aufbau und Finanzierung eines Registers sind wichtig, doch wie können seltene Erkrankungen überhaupt systematisch erfasst und klassifiziert werden. Angesichts von mehr als 8.000 bekannten seltenen Erkrankungen ist eine international gültige und verständliche Kategorisierung von zentraler Bedeutung. Dabei spielen die sogenannten ORPHACodes eine wichtige Rolle. Sie ermöglichen es, die unterschiedlichen Krankheitsbilder systematisch zu erfassen, medizinische Leistungen gezielter zu planen und die Versorgung betroffener Patientengruppen zu verbessern. Mag. Dr. Christina Dietscher vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMASGPK) erklärte: "Die verpflichtende Anwendung der ORPHACodes mit Anfang 2026 an den österreichischen Expertisezentren ist ein Meilenstein. Sie muss jedoch in eine langfristige Strategie eingebettet sein, die auch die Nutzung der Daten für Planung und Versorgung ermöglicht". Neben der ORPHACodierung seien, bundesweite strategische Vorgaben für die Register sowie die Berücksichtigung internationaler Anforderungen wichtig.
Eine Frage ist die praktische Umsetzung, wie können Register im Spitalsalltag tatsächlich funktionieren? Ao. Univ.-Prof. Dr. Gabriele Hartmann plädierte für praktikable Lösungen: "Wir brauchen eine Abstimmung der minimal erforderlichen Datensätze mit internationalen Standards sowie die Möglichkeit, nationale Register mit europäischen Strukturen zu verknüpfen." Außerdem sollte die Möglichkeit bestehen, pseudonymisierte Daten für epidemiologische Zwecke zu nutzen, ohne zusätzliche Informationsblätter und Einverständniserklärungen. Hartmann betont: "Die Vielzahl an Formularen ist im klinischen Alltag nicht mehr zumutbar". Sie sprach sich daher für eine zentral verwaltete, digitale Informations- und Einwilligungserklärung aus sowie für ausreichend geschultes Verwaltungspersonal.
Benjamin Riedl, MSc, vom Wiener Gesundheitsverbund, bekräftigte, wie wichtig die Anbindung der Register an europäische Netzwerke ist und fügte hinzu: "Ein erfolgreiches nationales Register für seltene Erkrankungen braucht klare Verantwortlichkeiten, gemeinsame Standards und Vertrauen in die Qualität der Daten. Zugleich müssen Register spezifisch und kollaborativ ausgerichtet sein, um den unterschiedlichen Anforderungen von Forschung und Versorgung zu genügen." Er schlägt vor, damit die Register langfristig tragfähig sind, sie als Teil der medizinischen Leistungen anzuerkennen und abrechenbar zu machen, um es als integralen Bestandteil einer qualitätsgesicherten Versorgung zu verstehen.
Wichtig ist auch die Koordination eines Registers im Rahmen bestehender Ressourcen. Mag. Dr. Alexander Degelsegger-Márquez von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) erklärt: "Strukturierte Daten zu seltenen Erkrankungen sind ein großer Gewinn, nicht nur für Versorgung, Planung und Forschung, sondern vor allem für die betroffenen Patient:innen. Österreich hat mit seiner eHealth-Strategie eine gute Basis geschaffen. Nationale Anstrengungen zur Datenerfassung und -verfügbarkeit können bereits im Hinblick auf die Möglichkeiten des Europäischen Gesundheitsdatenraums gestaltet werden. Standardisierte Diagnosedaten in der Europäischen Patientenkurzakte und bessere Möglichkeiten der sicheren Datennutzung stärken Public Health, Forschung und Innovation gleichermaßen".
Claas Röhl, Obmann von Neurofibromatose Kinder, NF Patients United sowie Vorstandsmitglied von ProRare und der Allianz der onkologischen Patient:innenorganisationen betont, dass von Anfang an die Perspektive der Patient:innen mitbedacht werden muss. "Seltene Erkrankungen sind oft komplexe, multisystemische Erkrankungen, welche die betroffenen Familien, aber auch alle Stakeholder des Gesundheitssystems vor große Herausforderungen stellen. Eine landesweite systematische Erfassung der Gesundheitsdaten von Menschen mit seltenen Erkrankungen ist unbedingt notwendig, um diese Indikationen besser zu verstehen, die gesundheitliche Versorgung der Betroffenen zu verbessern und die Forschung vorantreiben zu können."
Internationale Erfahrungen können wertvolle Impulse für den Aufbau eines nationalen Registers liefern. Dr. Josef Schepers, der sich über viele Jahre in Deutschland in Digitalisierungsprojekten der Universitätsmedizin für Menschen mit seltenen Erkrankungen engagierte und seit dem 1. November an der University of Southern Denmark in Odense tätig ist erklärte: "Man kann nur steuern, was man flexibel messen und planen kann. Das gilt besonders für seltene Erkrankungen, die oft noch als Waisenkinder der Medizin gelten, aber nach und nach zu einem der Hauptthemen der Spitzenmedizin werden. Wir benötigen ein übergreifendes medizinisches Register oder registerkonvergente Strukturen mit klar benannten Nutzungsdimensionen. Dabei ist sowohl bei einer zentralen Einrichtung als auch bei der proaktiven, gemeinsamen Mehrfachnutzung föderierter Komponenten auf Nutzen, Kosten und Qualität zu achten".