Hausärzt:in 06/2025
Ärzt:in Assistenz 03/2024

Die Gastroenterologie und Hepatologie einst und jetzt

Schematische Darstellung eines Körpers mit dem Magen und Darm
"Ein Meilenstein hat sich an den anderen gereiht"
© ag visuell / adobe.stock.com
Prim. Univ.-Prof. Dr. Harald Hofer im Interview über die Entwicklung der Gastroenterologie und Hepatologie in den letzten 35 Jahren.
Medizinische Expertise
Harald Hofer

Prim.Univ.-Prof. Dr. Harald Hofer (Abteilung für Innere Medizin I, Klinikum Wels-Grieskirchen, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie)

HAUSÄRZT:IN: Die Gastroenterologie und Hepatologie anno 1990 und heute: Wie war es damals? Was hat sich seither verändert?

Prof. HOFER: Das Fachgebiet hat sich in den letzten 35 Jahren substanziell weiterentwickelt. 1990 war die Gastroenterologie und Hepatologie noch durch begrenzte diagnostische Möglichkeiten und weniger effektive Therapien geprägt. Die endoskopische Bildqualität und die endoskopischen Interventionsmöglichkeiten haben sich seither massiv weiterentwickelt bzw. verbessert. Moderne Endoskope bieten hochauflösende Bilder in 4K-Qualität, mit speziellem Untersuchungslicht und KI-Unterstützung. Die Kapselendoskopie ist verfügbar geworden. Endosonographie und endosonographisch gesteuerte Interventionen haben in weite Bereiche der Klinik Einzug gehalten und neuartige Stents sowie Methoden deutliche Fortschritte gebracht. Massiv verbessert hat sich die laborchemische Diagnostik gastroenterologischer und hepatologischer Erkrankungen (v. a. molekularbiologische Methoden), außerdem haben neue Therapien und Ansätze die Behandlungen großteils revolutioniert.

Können Sie uns Beispiele für Meilensteine rund um die Behandlung konkreter hepatologischer Erkrankungen nennen?

Die Fortschritte auf einzelnen Gebieten waren sensationell. So ist z. B. das Hepatitis-C-Virus 1989 erstmals beschrieben worden. Die folgenden Jahrzehnte waren diesbezüglich eine wahre Erfolgsgeschichte der modernen Medizin. Sehr rasch wurden diagnostische Methoden entwickelt – und wenig später Interferon-basierte antivirale Therapien, die man kontinuierlich weiterentwickelte. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts kam es durch die Einführung der Interferon-freien, direkt antiviral wirksamen Substanzen zu einem weiteren Paradigmenwechsel in der Therapie. Die Hepatitis-C-Virus-Infektion kann nunmehr mittels einer kurzen, praktisch nebenwirkungsfreien oralen Therapie geheilt werden. Das ist eine sensationelle Entwicklung. Für die Entdeckung des Hepatitis-C-Virus wurde 2020 der Nobelpreis vergeben.

Ebenfalls mit dem Nobelpreis bedacht worden sind die Entdecker des Hepatitis-B-Virus. In diesem Bereich wurden mit Nukleosid- und Nukleotidanaloga ebenfalls gute Therapiemöglichkeiten für die chronische Hepatitis B entwickelt und somit deutliche Verbesserungen für Patient:innen erzielt. Die Notwendigkeit einer Lebertransplantation ließ sich damit für Betroffene einer chronischen Virushepatitis deutlich reduzieren, obgleich auch bei der Lebertransplantation und postoperativen Nachsorge (z. B. Verbesserung der Immunsuppressiva) große Fortschritte gemacht wurden. Auch die Diagnose und Behandlung der portalen Hypertension hat sich mit der Einführung der Elastographie, des transjugulären intrahepatischen portosystemischen Shunts (TIPS) sowie der medikamentösen und endoskopischen Therapiemöglichkeiten stark weiterentwickelt.

Und welche Meilensteine würden Sie im Bereich der Gastroenterologie nennen?

Die Einführung der Biologika hat die Therapie von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa revolutioniert. In den vergangenen Jahren sind etliche Substanzen verfügbar geworden, die das bisherige Armamentarium der Biologika und Biosimilars zur Therapie von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa deutlich erweitert und für die Patient:innen eine zusätzliche Verbesserung gebracht haben. Die Einführung der Immuntherapie und zielgerichteter Therapien in der gastrointestinalen Onkologie gehört ebenfalls zu den wichtigen Neuheiten. Darüber hinaus zählt die Erforschung des Mikrobioms und der Genetik (Gentherapie) von gastroenterologischen Erkrankungen zu den Meilensteinen in unserem Fach. Nicht zuletzt ist der Siegeszug der Protonenpumpenhemmer zu nennen. Eigentlich könnte man sagen, dass sich in den letzten 35 Jahren ein Meilenstein an den anderen gereiht hat – es blieb im positiven Sinne kein Stein auf dem anderen.

Auch momentan hört man regelmäßig von großen Innovationen in Ihrem Fachbereich. Welche würden Sie beispielhaft hervorheben?

Derzeit sind die Entwicklungen auf dem Gebiet der steatotischen Lebererkrankungen bemerkenswert. Die Begriffe MASLD ("Metabolic-dysfunction associated steatotic liver disease") und MASH ("Metabolic-dysfunction associated steatohepatitis") haben sich rasch in der klinischen Praxis etabliert. Darüber hinaus haben sich Diagnostik und Therapiealgorithmen der MASLD/MASH durch nichtinvasive Fibrose-Tests wie den FIB-4 und die Elastographie (VCTE) weiterentwickelt. Vor allem der FIB-4 ist auch für Allgemeinmediziner:innen interessant, da er bei der Entscheidung, ob es eine weitere Abklärung braucht, hilfreich sein kann. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass mit dem Thyroidhormonrezeptor-β-Agonisten Resmetirom erstmals eine Therapie für MASH-Patient:innen mit Fibrose der Grade 2 und 3 entwickelt wurde, deren Zulassung in Europa bevorstehen dürfte. Für die nahe Zukunft ist eine Reihe weiterer Substanzen zur Therapie der MASLD/MASH zu erwarten, darunter GLP-1-Agonisten, die dualen GIP/GLP-1-Agonisten, sowie die Glukagon-/GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Darüber hinaus erzielten FGF21-Agonisten in klinischen Studien sehr vielversprechende Ergebnisse. Nach Jahren fehlender Therapiemöglichkeiten kann man diese Entwicklungen als wirklich rasant und erfreulich bezeichnen.

Welche Zulassungen sind noch zukunftsweisend?

Ebenso beachtenswert und erfreulich sind die Fortschritte auf dem Gebiet der cholestatischen Lebererkrankungen. Hier erfolgte rezent die Zulassung der PPAR-Agonisten Elafibranor und Seladelpar für die Zweitlinientherapie der primär biliären Cholangitis (PBC). Beim cholestatischen Pruritus zeigt die Glisten-Phase-III-Studie für den IBAT-Inhibitor Linerixibat eine positive Wirksamkeit. Auch in puncto primär skleosierender Cholangitis gibt es endlich erfreuliche Nachrichten, hier konnte für Elafibranor in einer Phase-II-Studie und für Norucholsäure (NCA) in einer Phase-III-Studie ebenfalls eine positive Wirksamkeit gezeigt werden. 

Fortschritte gibt es darüber hinaus in der Behandlung des hepatozellulären Karzinoms, bei welchem die Immuntherapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren zur First-Line-Therapie geworden ist. Was die Hepatitis-Delta-Virus(HDV)-Infektion anbelangt, ist Bulevirtid als neue Therapiemöglichkeit zu nennen. Hier konnten Therapiealgorithmen und Therapiedauer immer besser definiert werden. 

Eine weitere positive Entwicklung betrifft die eosinophile Ösophagitis. Für diese – gegenwärtig sicher noch unterdiagnostizierte – Erkrankung liegt mit Dupilumab ein Biologikum vor, das als Second-Line-Therapie zugelassen ist.

Auch der künstlichen Intelligenz kommt immer mehr Bedeutung zu …

Ja. Die künstliche Intelligenz hat in die Endoskopie Einzug gehalten und neue interventionelle endoskopische Verfahren wie die extraanatomischen Gallengangs- und Gallenblasendrainagen (EUS-GBD, EUS-CD) oder endosonographisch angelegte Enteroanastomosen (EUS-GE, EDEE, EDGE) finden zunehmend Anwendung.

Was erwarten/erhoffen Sie sich von der Zukunft für das Fach?

Die Darmkrebsprävention stellt weiterhin ein zentrales Thema in der Gastroenterologie dar. Sie ist und bleibt ein sehr wichtiges Anliegen der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH, siehe INFO). Wir haben leider hierzulande nach wie vor kein bundesweit einheitliches, organisiertes und qualitätskontrolliertes Darmkrebsvorsorgeprogramm. In Österreich bekommen derzeit 15 bis 20 Patient:innen pro Tag die Diagnose Darmkrebs, mit allen Folgen für sie selbst und ihr Umfeld – und das, obwohl die Entstehung mittels Vorsorgekoloskopie verhinderbar wäre.

Ihr Appell an die politischen Entscheidungsträger:innen?

Die Vorsorgekoloskopie schützt die Gesundheit, rettet Leben und schont langfristig Ressourcen. Wir benötigen daher eine bundesweite strukturierte Darmkrebsvorsorge, hierbei sind wir in Europa Schlusslicht! Auch bei Vorsorge und Management im Bereich der Lebererkrankungen haben wir Handlungsbedarf. So hat uns Deutschland mittlerweile deutlich vorgezeigt, dass ein Screening-Programm für Hepatitis C Sinn ergibt. 

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit Hausärzt:innen?

Sie spielt in unserem Fachgebiet eine wesentliche Rolle. Einerseits, da aufgrund der hohen Prävalenz von gastroenterologisch-hepatologischen Erkrankungen wie der MASLD eine sinnvolle Abklärung und Behandlung nur in Kooperation mit den Hausärzt:innen gelingen kann. Andererseits, weil den Allgemeinmediziner:innen ein hoher Stellenwert beim Erkennen von seltenen gastroenterologisch-hepatologischen Erkrankungen zukommt. Ein früher Therapiebeginn ist z. B. bei vielen Lebererkrankungen entscheidend und setzt natürlich eine rechtzeitige Diagnose voraus. Hier ist aus meiner Sicht auch eine gute Kooperation hinsichtlich Fortbildungsveranstaltungen wichtig. Nicht zuletzt lassen sich Vorsorgeprogramme natürlich nur in Kooperation mit den Hausärzt:innen sinnvoll umsetzen.