Hausärzt:in 06/2025
Ärzt:in Assistenz 03/2024

Medikamentenversorgung: ÖÄK-, Pharmig- und DVSV-Meinungen

Die ÖÄK-Pressekonferenz zeichnet ein düsteres Bild. Laut Ärztekammer drohen Österreich weitere Monate und Jahre des Medikamentenmangels. In diesem Zusammenhang äußerten sich auch Pharmig und DSVS zur Medikamentenversorgung. 

Pressekonferenz der ÖÄK

In Österreich ist man schon fast gewöhnt daran, dass regelmäßig Arzneimittel fehlen, darunter auch Medikamente wie Schmerzmittel, Antibiotika oder Hustensäfte. Leider würden aktuelle Entwicklungen für die nähere Zukunft eine Fortschreibung dieser Mangelwirtschaft, oder sogar noch eine Verschärfung der Lage erwarten lassen. Österreich gilt international als "Billigland" für Medikamente, zum Beispiel durch das Preisband für Arzneimittelspezialitäten. Dieses erhöht den Preisdruck auf die Hersteller und führe dazu, dass Österreich kein attraktiver Absatzmarkt ist. Ernst Agneter, Facharzt für Pharmakologie, Inhaber des Lehrstuhls für Pharmakologie an der Sigmund Freud Privatuniversität und Präsident der Gesellschaft der Ärzte in Wien sagt dazu: "Einerseits wird die fehlende Lieferbarkeit zahlreicher wichtiger, für die Versorgung der Patienten notwendigen Medikamente beklagt, andererseits werden immer neue Maßnahmen zur Preisreduktion und darüber hinaus gesetzliche Anforderungen, zum Beispiel die Verordnung zur Arzneimittelbevorratung, die kommunale Abwasserrichtlinie etc., beschlossen". Als Konsequenz würden durchschnittlich 20 Generika Arzneimittel pro Monat aktuell den Erstattungskodex in Österreich verlassen. Die kommunale Abwasserrichtlinie der EU könnte in Zukunft die Versorgung mit Metformin gefährden, ein Medikament, auf das weltweit rund 130 Millionen Patient:innen angewiesen sind.  

Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer warnt davor, die Wirkstoffverschreibung einzuführen. Er erklärt: "Dieses Konzept bedeutet, dass Ärzt:innen einer Patient:in statt einem bestimmten Präparat nur noch den Wirkstoff verschreiben. Welches Medikament die Patienten dann in der Apotheke erhalten, unterliegt der Entscheidung des Apothekers, unabhängig davon, was der Arzt vorher mit dem Patienten besprochen hat. Zu befürchten ist also, dass die Auswahl nicht mehr am konkreten Bedarf einer Patient:in orientiert ist, sondern auch andere Überlegungen wie Lagerhaltungskosten oder Gewinnspannen für die Apotheken entscheidungsrelevant werden". Wenn ständig Präparate gewechselt werden, wird die Compliance der Patient:innen darunter leiden und es wird zu Verwechslungen bei der Medikamenteneinnahme kommen. Außerdem achten Ärzt:innen darauf, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen, wie zum Beispiel Schluckbeschwerden. Die ÖÄK sieht daher durch die aktuelle Politik eine Gefährdung der Patient:innen, dazu kommt eine steigender Betreuungs-, Beratungs- und Zeitaufwand, der in der aktuellen Kassenmedizin nicht geleistet werden kann. Ärzt:innen seien die letztverantwortlichen Kompetenzträger und bräuchten Entscheidungs- und Gestaltungshoheit über eine medikamentöse Therapie, aufgrund ihrer Kompetenz. 

Außerdem führt der ÖÄK-Präsident an: "Die Produktion von Medikamenten und Medizinprodukten muss nach Österreich oder zumindest nach Europa zurückgeholt werden. Wir brauchen hier eine neue Priorisierung. Wir alle sehen, wie sich die Weltmärkte, aber auch die globale Politik aktuell entwickeln: höchst erratisch, oft mit gravierenden Änderungen auf Tagesbasis. Mit dieser Ungewissheit können wir in einem sensiblen Bereich wie der Medikamentenproduktion nicht weitermachen. Und die österreichische Niedrigpreispolitik bei Medikamenten muss von der Politik revidiert werden. Wir dürfen uns nicht an Medikamentenknappheit und Mangelwirtschaft gewöhnen. Medikamente müssen uns allen wieder etwas wert sein". Agneter fügt noch hinzu: "Aufgrund der bereits zahlreich vorhandenen Preisregulationsmechanismen sind keinerlei Einsparungen durch eine Wirkstoffverschreibung zu erwarten. Mit Sicherheit käme es aber zu einer Verunsicherung der Patienten, zu einem verstärkten Erklärungsaufwand bei den verschreibenden Ärzten und zu einer Verschlechterung der Versorgungslage durch die Unmöglichkeit einer rechtzeitigen Produktionsplanung in der pharmazeutischen Industrie".

Pressemeldung der Pharmig

Der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreich, PHARMIG hat sich im Kontext der ÖÄK-Pressekonferenz auch zur Medikamentenversorgung geäußert. Alexander Herzog, Generalsekretär der PHARMIG betont, dass eine sogenannte "Wirkstoffverschreibung" Probleme bei der Medikamentenversorgung nicht lösen, sondern nur vergrößern würde. Er erklärt: "Wir können uns mit vereinten Kräften darum bemühen, dass Patient:innen stets gut versorgt sind, selbst wenn es bei einzelnen Medikamenten Lieferschwierigkeiten geben sollte. Dazu bedarf es aber Gesetzesinitiativen auf Ebene der EU". Es wird bereits daran gearbeitet, in der neuen EU-Pharmagesetzgebung, die sich auf der Zielgeraden befindet oder auch in der geplanten EU-Verordnung, dem Critical Medicines Act. Seit Anfang des Jahres sorgt die European Shortages Monitoring Plattform für mehr Transparenz, um Lieferengpässe auf EU-Ebene besser zu erfassen und gegebenenfalls entgegenwirken zu können. Um auftretende Lieferengpässe für die Patient:innen in Österreich nicht zum Problem werden zu lassen, sind Zulassungsinhaber seit Kurzem auch verpflichtet, gewisse Arzneimittel zu bevorraten. Nicht zuletzt spricht sich Herzog vor allem für eine faire Preispolitik aus: "Engpässe sind das Ergebnis einer Niedrigpreispolitik. Wenn Arzneimittelpreise durch gesetzliche Regelungen niedrig gehalten oder sogar noch weiter nach unten gedrückt werden, dann wirkt sich das negativ auf die Versorgungsqualität aus".

Pressemeldung der DVSV

Auch der Dachverband der österreichischen Sozialversicherungen (DVSV) äußerte sich zur Medikamentenversorgung in Österreich. Die Befürchtung der ÖÄK, dass das Preisband zu einem Medikamentenengpass führen könnte, ist unbegründet. Das Preisband ermöglicht es jenen Firmen, deren wirkstoffgleiche Produkte ("Generika" und Originalprodukte) teurer sind als jene des preisgünstigsten Anbieters, trotzdem auf Kosten der Allgemeinheit abgegeben werden dürfen. Diese Regelung, die 2017 auf Wunsch der Industrie eingeführt wurde und Preisaufschläge bis zu 20 % gegenüber den günstigeren Produkten ermöglicht, führt zwar zu Mehrkosten bei der Krankenversicherung, sorgt aber dafür, dass mehrere Anbieterfirmen eines bestimmten Medikaments, und nicht nur der Anbieter des Produkts mit dem niedrigsten Preis, auf dem heimischen Erstattungsmarkt im Geschäft bleiben können. Das führt in Österreich zu einer größeren Anbietervielfalt als in anderen Ländern, wo grundsätzlich im Rahmen von Ausschreibungen nur der billigste Anbieter für das öffentliche Gesundheitswesen zum Zug kommt. Wirkstoffgleiche Medikamente werden auf dem heimischen Markt von vielen verschiedenen Firmen angeboten und tragen damit zur Versorgungssicherheit bei Ausfall eines Anbieters bei. Österreich ist für Generika keineswegs ein "Billigland", sondern im europäischen Vergleich sogar ein Hochpreisland. Generika sind in Österreich laut Preisindex um 121 % teurer als in Schweden und auch deutlich teurer als in Ländern wie Deutschland, oder Frankreich. In Österreich kommen seit Bestehen mehr neue Medikamente in den Erstattungskodex der Sozialversicherung als Produkte zurückgezogen werden. Die Medikamentenvielfalt, die heimischen Versicherten auf Kassenkosten zur Verfügung steht, steigt stetig und hat einen neuen Höchststand erreicht mit Jänner 2025  waren 7.759 Medikamente gelistet, im Vergleich waren es Anfang 2005 noch 5.264.

Abschließend betont der DVSV: "Eine Verunsicherung der Menschen in Bezug auf die Medikamentenversorgung unter Verweis auf das Preisband ist vor dem Hintergrund der Fakten daher unangemessen".