Jährlich brauchen etwa 1.150 Neugeborene in Österreich kinderurologische Unterstützung, um angeborene Fehlbildungen zu korrigieren. Pränatalmediziner:innen, Geburtshelfer:innen, Kinderärzt:innen, Urolog:innen und Chirurg:innen arbeiten dabei zusammen, um Harnwegsinfekten vorzubeugen, die Nierenfunktion der Kinder sowie deren zukünftige Fertilität zu erhalten, sowie Organfunktionen zu verbessern und Inkontinenz zu behandeln. Beispiele für solche Krankheitsbilder sind die Blasenextrophie, Varianten der Geschlechtsentwicklung, Hypospadien, Fehlbildung der Harnröhrenklappen oder seltene, nicht-syndromale Fehlbildungen des Harntraktes.
Teilweise sind Interventionen, wie bei einer Verengung der unteren Harnwege, oder bei Spina bifida, bereits vor der Geburt möglich. Bereits ab der 12. Schwangerschaftswoche sind die Organsysteme eines Fötus bereits vollständig angelegt. Mittels Pränataldiagnostik und pränataler Therapie kann die Verengung der unteren Harnwege mit einem Stent behandelt werden, um Urin aus der Blase des Ungeborenen in das Fruchtwasser abzuleiten, um Nierenschäden, Lungenunterentwicklung und Fruchtwassermangel zu vermeiden.
Seltene urogenitale Erkrankungen können sehr vielfältig und variantenreich sein. Bei der niedrigen Prävalenz ist es schwer Expert:in auf diesem Gebiet zu sein. Daher gibt es mit ERN eUROGEN ein eigenes europäisches Referenznetzwerk für seltene uro-rekto-genitale Erkrankungen und komplexe urologische Fehlbildungen, das sich für einen schnellen Zugang zu Diagnose, Behandlung und Nachsorge in Spezialzentren einsetzt. Werden seltene urogenitale Erkrankungen nicht schon pränatal erkannt, zeigen sie sich häufig mit Harnwegsinfekten, Fieber, Auffälligkeiten bei den äußeren Genitalien und Schmerzen beim Harnabfluss oder Bauchschmerzen. Es ist wichtig, dass Kinderärzt:innen schnell reagieren und junge Patient:innen an Spezialzentren geschickt werden zur Abklärung. Denn je schneller die richtige Diagnose gestellt wird, desto schneller können diese Kinder auch eine Therapie erhalten und gravierende Organschäden, wie eine drohende Niereninsuffizienz, Inkontinenz und Harnwegsinfekte vermieden werden. Bei vielen kinderurologischen Erkrankungen kommt es dann ab dem 1. Geburtstag zur ersten korrigierenden, organerhaltenden Operation. Die Wahl des Operationszeitpunkts hängt auch damit zusammen, dass sich einige urogenitale Erkrankungen auch innerhalb des 1. Lebensjahres in Ihrer Bedeutung verändern, man könnte sagen "auswachsen" können. Häufige Kontrollintervalle sind sinnvoll, um unnötige Eingriffe zu vermeiden. Kommt es zu keiner Verbesserung oder treten Probleme auf, könne vielen Kinder mit einer operativen Korrektur weitergeholfen werden. Viele Patient:innen, die an seltenen urogenitalen Erkrankungen leiden, benötigen in der Folge auch eine lebenslange urologische Begleitung in Spezialzentren.
Neben den oben angesprochenen, teils seltenen und komplexen Erkrankungen sind auch, vermeintlich banale Probleme Teil der Kinderurologie, wie zum Beispiel das Bettnässen. 10 % aller 6-jährigen Kinder ist bis zu dreimal im Monat in der Nacht inkontinent. 1-2 % der 6- bis 10-Jährigen können ihren Urin auch unter Tags nicht halten. Das ist ein manchmal hoher, mitunter mit Scham behafteter Leidensdruck für die Kinder. Liegt eine funktionelle oder entwicklungsbedingte Ursache vor, wie in den meisten Fällen, wird Urotherapie und "Training für Blase und Nervensystem" als Behandlung erfolgreich angewandt. Auch Medikamente haben einen Stellenwert in der Therapie. In 15 bis 20 % der Fälle kommt es spontan bei den Kindern zu einer Verbesserung. Selten liegt eine strukturelle Ursache vor. Hier kann nach weiterer Diagnostik chirurgisch geholfen werden.