Hausärzt:in 04/2024

Neuronaler Schaltkreis für reduzierte Nahrungsaufnahme bei Hitze entschlüsselt

Eine internationale Studie unter der Leitung der MedUni Wien zeigt neue Ansätze zur Therapie von krankhaftem Über- und Untergewicht auf.

Wenn die Temperaturen steigen, sinkt der Appetit. Dass die Nahrungsaufnahme bei akuter Einwirkung von Hitze reduziert wird, ist auch wissenschaftlich belegt. Die genauen Hintergründe dafür waren jedoch bisher nicht bekannt. Nun hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der MedUni Wien erstmals jenen neuronalen Signalweg beschrieben, der die Nahrungsaufnahme bei Hitze drosselt.

Die Untersuchungen im Mausmodell zeigten, dass die Signalkaskade im Nucleus parabrachialis startet – dem "Thermostat im Kopf", das für die Wahrnehmung der Temperatur zuständig ist. "In diesem Areal haben wir im Gehirn von Mäusen, die eine Stunde lang einer Temperatur von 40 Grad Celsius ausgesetzt waren, die Aktivierung spezieller Zellen beobachtet", schildert Tibor Harkany vom Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien, der die Studie in Zusammenarbeit mit Tamas L. Horvath von der Yale University School of Medicine (USA) geleitet hat.

Die Zellen würden ihre Fortsätze (Axone) in den Hypothalamus ausstrecken, wo jene Neurone sitzen, die die Nahrungsaufnahme koordinieren. Die Signalübertragung auf diese Neurone erfolgt aber nicht direkt, sondern über spezialisierte Zellen, sogenannte Tanyzyten. Tanyzyten kleiden die Wand des dritten Ventrikels aus, eines der vier Hohlräume des Gehirns. Sie sind dafür bekannt, für die Kommunikation mit entfernten Zielen Signalmoleküle in die Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit abzugeben. Die Studienautor:innen zeigten im Gegensatz zu dieser allgemeinen Ansicht, dass die nach außen ragenden Strukturen der Tanyzyten in das Hirngewebe eindringen und schließlich mit jenen Neuronen in Kontakt treten, die zur Nahrungsaufnahme anregen. "Der von uns entdeckte Signalweg zeigt also, dass die Einwirkung von Hitze nicht wie bisher angenommen das Sättigungsgefühl beeinflusst. Vielmehr wird über die Freisetzung eines bestimmten Wachstumsfaktors die Aktivität jener Gehirnzellen gehemmt, die zur Nahrungssuche und -aufnahme anregen", erklärt Harkany die Studienergebnisse.

"Mit der Entdeckung des zugrundeliegenden neuronalen Schaltkreises können wir die Grundlagenforschung auf diesem Gebiet vorantreiben", so Harkany. Die Ergebnisse können potenzielle Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Therapien von Adipositas, aber auch von Anorexie liefern. Sie wurden im Top-Journal "Nature" publiziert.

A brainstem–hypothalamus neuronal circuit reduces feeding upon heat exposure