"Bonding": Bindung von Kind und Eltern

Eltern halten ihr Baby in der Hand
Bonding fördert die gesunde Entwicklung beim Baby.
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Die erste direkte Kontaktaufnahme zwischen Mama und Baby sehen Psychologen als eine sehr wichtige Phase für die lebenslange Bindung zwischen Mutter und Kind.

Medizinische Expertise

Kathrin Koller

Kathrin Koller

Hebamme
Linzerstraße 7, 4180 Zwettl/Rodl
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In diesen Momenten geschieht etwas Einzigartiges, das weit über die Freude über das eigene Kind und über die Erleichterung, dass es gesund und die Geburt geschafft ist, hinausgeht. Dieses "Bonding" – englischer Ausdruck für die Prägung einer Bindung – gilt in der Psychologie zudem als eine Voraussetzung, dass der Mensch körperlich und seelisch gut aufwachsen kann.

Früher haben Mütter ihr Neugeborenes erst Minuten nach der Geburt zu Gesicht bekommen – zuvor wurde der Säugling gewaschen und angezogen. Das hat sich heute grundlegend geändert – das Baby kommt möglichst sofort auf Mamis nackten Oberkörper. Dort spürt es die Körperwärme und den Atem seiner Mutter, hört ihren vertrauten Herzschlag und riecht ihren ureigenen Duft.

Heute weiß die Wissenschaft, dass sowohl die Mutter als auch das Baby nach der Entbindung für eine bestimmte Zeit von körpereigenen Hormonen (z. B. Oxytocin und Beta-Endorphine), die bindungsfördernd wirken, geradezu überschwemmt sind – Mutter und Kind sind ganz voneinander bezaubert; in einem emotionalen Zustand, in dem das Außen keinen Platz hat. Durch die vertrauten Wahrnehmungen am Körper der Mutter wird das Neugeborene meist ganz ruhig und sucht ihre Brust. Der Saugreflex ist die ersten beiden Stunden nach der Geburt am größten. Diese Tatsache sollte man nutzen und das Baby erstmals anlegen.

Das erste Stillen hilft nicht nur bei der Geburt der Plazenta (Nachgeburtsphase) und lässt die Gebärmutter zurückbilden, sondern produziert auch eine neue Woge von Mutterglück und schenkt dem Baby das Vertrauen, dass es ihm auch "hier draußen" an nichts mangeln wird. Das Urvertrauen des Kindes zur Mutter entsteht.

Die Geburtshelfer werden versuchen, Eltern und Kind für die ersten 2 Stunden nach der Geburt nur so wenig wie möglich zu stören. Sollten Geburtsverletzungen der Mutter versorgt werden müssen, kann das Kind dabei meist auf ihrer Brust liegen bleiben. Ist die Mutter zu erschöpft, um ihr Baby zu halten, kann der Vater es an sich nehmen.

Begrüßen Väter ihr Kind nach der Geburt, sollten sie leise mit ihm sprechen – das Kind kennt die gedämpfte Stimme des Vaters schon von seiner Zeit in Mamas Bauch und wird Papa neugierig beäugen. Dazu sollte es der Vater auf seine nackte Brust legen oder in einem Abstand von 25 bis 30 Zentimeter zu seinem Gesicht halten. Das entspricht dem Abstand zum Gesicht der Mutter beim Stillen und der Entfernung, in der das Baby seine Umgebung sofort nach der Geburt wahrnehmen kann. Zudem besitzt das Baby einen ausgeprägten Tastsinn. Über Millionen von Nervenzellen spürt das Neugeborene die Berührungen des Vaters, wie er es sicher auf seiner Brust trägt, sanft schaukelt oder streichelt. All diese Eindrücke prägt sich das Kind emotional ein und fasst Vertrauen, dass es auf unserer Welt willkommen ist.

Mutter und Kind sollten die ersten 2 Stunden nach der Geburt möglichst ihre Zweisamkeit genießen können, dieses erste Gefühl der Verbundenheit ist eine unglaubliche Erfahrung. Monatelang hat die Mutter auf ihr Baby gewartet und deshalb sollte sie nach der Geburt Zeit einfordern, um ihr Kind in Ruhe kennenzulernen. Dabei kann gar nicht genug gekuschelt werden. In Ruhe, gedämpftem Licht und Wärme genießt das Baby das noch mehr.

Um sicherzugehen, dass Mutter und Kind diese Phase nach der Geburt ungestört genießen können, sollten sie diesen Wunsch bereits vor der Entbindung den Geburtshelfern gegenüber äußern. Der Vater kann Hebamme und Arzt auch während der Geburt nochmals daran erinnern. Routinemaßnahmen wie Waschen, Wiegen, Abmessen, Wickeln und Anziehen des Neugeborenen können warten, damit sie die ersten Augenblicke zwischen Mutter, Vater und Kind nicht stören. Andere Familienmitglieder und Freunde, die gespannt auf das Baby warten, sollten es erst zu einem späteren Zeitpunkt kennenlernen.

Haut-zu-Haut-Kontakt unmittelbar nach der Geburt fördert zwar das Bonding, aber manchmal ist dies nicht möglich – beispielsweise durch eine schwere Geburt oder zu viel Hektik im Kreißsaal, etwa weil dringende medizinische Eingriffe anstehen. Mütter müssen dann nicht verzweifeln! Der unmittelbare Haut-zu-Haut-Kontakt zwischen Mutter und Neugeborenem ist zwar ideal, doch auch ohne ihn lässt sich eine sichere Bindung noch aufbauen. Das Bonding findet nämlich nicht nur unmittelbar nach der Entbindung statt, sondern wird auch in den weiteren Stunden und Tagen nach der Geburt durch das ständige Beisammensein von Mutter und Kind gefördert. Wenn Frauen ihrem neugeborenen Kind in den ersten Tagen und Wochen nach der Entbindung viel Zärtlichkeit geben, auf die kindliche Kommunikation eingehen und die Bedürfnisse des Babys erfüllen, steht dem Bonding nichts im Wege – selbst wenn der Haut-zu-Haut-Kontakt nicht als erstes stattfinden konnte. Mutter, Vater und Kind können das dann nachholen: Sie profitieren auch Tage nach der Entbindung noch von intensivem Haut-zu-Haut-Kontakt. Oft wird in diesem Fall die Technik des sogenannten Re-Bonding eingesetzt, die Stunden, Tage aber auch Wochen oder Monate nach der Geburt angewendet werden kann. Dabei wird das Baby neben dem Bett der Mutter gebadet und danach nackt und nass auf den nackten Oberkörper der Mutter gelegt. Dann wird ausgiebig gekuschelt. Es wird sozusagen die Situation nach der Geburt nachgespielt, und das fördert die Bindung, vor allem bei Kindern, die dieses erste Kuscheln mit ihrer Mutter nicht hatten.

Frauen, die einen Kaiserschnitt für die Entbindung benötigen, müssen sich ebenfalls keine Sorgen um die Bindung zu ihrem Kind machen. Wird ein Kaiserschnitt mit Spinalanästhesie (Kreuzstich) durchgeführt, ist die Mutter bei Bewusstsein und kann ihr Kind meist direkt nach der Entbindung in die Arme schließen. Auch bei einem Kaiserschnitt unter Vollnarkose sieht es heute nicht viel anders aus. Meist wird die Betäubung so vorgenommen, dass die Mutter sehr schnell nach der Entbindung aus ihr erwacht und ihr Kleines begrüßen und erstmals an die Brust legen kann. Ist die Mutter dazu noch nicht in der Lage, kann der Vater das Baby übernehmen und ihm so das Gefühl des Willkommenseins in unserer Welt vermitteln. Das Wichtigste ist, dass das Neugeborene Verlässlichkeit, Schutz und Geborgenheit erfährt, um Vertrauen zu seinen Bezugspersonen aufzubauen. Jedenfalls sollte dafür gesorgt werden, dass das Baby, sobald es möglich ist, nackt mit der Mutter bonden kann.


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Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Erstellt am:

4. April 2017

Stand der medizinischen Information:

4. April 2017

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