Hausärzt:in Dialog 03/2024

Familiäre Hypercholesterinämie – früh handeln!

FH ist eine genetisch bedingte Störung im Cholesterinstoffwechsel, die zu erhöhtem Low-Density-LDL-C führt und von Geburt an wirkt.
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Familiäre Hypercholesterinämie ist die häufigste genetische Erkrankung in der allgemeinärztlichen Praxis. Die Störung im Cholesterinstoffwechsel führt zu erhöhten LDL-C-Werten, das Risiko auf einen Herzinfarkt ist entsprechend groß. Eine rechtzeitige Diagnose und eine lipidsenkende Therapie können Schlimmeres verhindern.
Inhaltsverzeichnis

Familiäre Hypercholesterinämie (FH) ist eine genetisch bedingte Störung im Cholesterinstoffwechsel, welche zu erhöhtem Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin (LDL-C) führt und von Geburt an wirkt. Da das LDL-C sowohl ursächlich als auch kumulativ der Atherosklerose zugrunde liegt1, haben Betroffene ein stark erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.2 Leider wird die FH oft nicht oder zu spät erkannt. Dabei ist sie weder so selten, noch harmlos. Nach neueren Schätzungen betrifft FH eine von 311 Personen3. Damit ist sie die häufigste genetische Erkrankung in der allgemeinärztlichen Praxis und häufiger als alle 26 im österreichischen Neugeborenenscreening enthaltenen Erkrankungen zusammen.4

Aus diesem Grund hat die österreichische Atherosklerosegesellschaft (AAS) vor sechs Jahren das FH-Register ins Leben gerufen. Ziel ist der flächendeckende Aufbau eines Patientenregisters. Mittels Kaskadenscreenings können, ausgehend von einem betroffenen Indexpatienten, Verwandte untersucht und nach erfolgter Diagnose einer frühzeitigen, präventiven Behandlung zugeführt werden.

An eine FH sollte immer gedacht werden bei:

  • LDL-C ≥ 190 mg/dl (Erwachsene); ≥ 160 mg/dl (Kinder)
  • vorzeitiger koronarer Herzkrankheit
  • positiver Familienanamnese
  • Xanthomen

Sekundäre Ursachen einer LDL-C-Erhöhung wie Hypothyreose, Cholestase, Nephrotisches Syndrom, schwere Adipositas, Anorexie und Medikamente (z. B. Retinoide) sollten ausgeschlossen werden.

FH-Scores

Für die Diagnose der FH stehen diverse Scores zur Verfügung. Am häufigsten angewandt werden:

  • Dutch-Lipid-Clinic-Network(DLCN)-Score
  • Simon-Broome-Score
  • Simon-Broome-Score – adaptiert für Kinder

Für die Diagnose der FH bei Kindern und Jugendlichen ist der DLCN nicht validiert.5 In dieser Population sollten die Simon-Broome-Kriterien verwendet werden.6 Die Scores können im Internet und über mobile Apps aufgerufen werden.

LDL-C auf unbehandelte Werte rückrechnen

Häufig wird die Diagnose durch eine bereits etablierte lipidsenkende Therapie erschwert. Sollte kein LDL-C vor Beginn der Therapie bekannt sein, kann mithilfe der Tabelle7 das LDL-C vor Therapiestart ermittelt werden.

Dosis Prava Fluva Simva Atorva Rosuva Ezetimib (EZE) EZE + Atorva EZE + Rosuva
10 mg 1,3 1,4 1,5 1,8 1,2 1,7 2,1
20 mg 1,4 1,2 1,4 1,7 2,0 2,0 2,4
30 mg 1,4 1,3 1,6 1,9 2,3 2,3 3,0
40 mg 1,4 1,8 2,0 2,4

Umrechnungsfaktoren auf LDL-Cholesterin vor Start der Lipidsenkenden Medikation. © Prof. Thomas Stulnig 2016

Genetische Diagnose

Macht der Score eine FH-Diagnose wahrscheinlich, sollte eine Gensequenzierung erfolgen. Dazu können die Betroffenen an ein Referenzzentrum überwiesen werden. Hier finden Sie Referenzzentren in Ihrer Nähe.

Bei begründetem Verdacht wird die genetische Diagnostik von der Krankenkasse übernommen. Aktuell werden an den Referenzzentren alle relevanten Gene getestet. Zusätzlich haben Betroffene die Möglichkeit, sich in das österreichische Register für Familiäre Hypercholesterinämie aufnehmen zu lassen.

Einem hohen LDL-C können sowohl monogenetische als auch komplexe polygenetische Ursachen zugrunde liegen. Die Abklärung von 314 Patienten mit einem LDL-C von ≥ 195 mg/dl an einem internationalen Referenzzentrum ergab bei 54 % eine monogenetische Ursache und bei weiteren 13 % eine polygenetische Ursache. Bei etwa einem Drittel der Patienten konnte mit den angewandten Untersuchungsmethoden keine genetische Ursache identifiziert werden.8

Bei den monogenetischen Ursachen wird zwischen den autosomal co-dominanten bzw. dominanten und den autosomal rezessiven unterschieden. Die Tabelle gibt dazu einen Überblick.9

Gen Vererbung Häufigkeit*
Co-dominant
LDLR Autosomal co-dominant 80-85 %
APOB Autosomal co-dominant 5-10 %
PCSK9 Autosomal co-dominant 1 %
Rezessiv
LDLRAP1 Autosomal rezessiv < 1 %
LIPA Autosomal rezessiv << 1 %
ABCG5/8 Autosomal rezessiv < 1 %
Dominant
APOE Autosomal dominant << 1 %
STAP1 Autosomal dominant << 1 %

* bezogen auf monogenetische Ursachen.

Die von Geburt an erhöhten LDL-Partikeln bedingen das schnelle Voranschreiten der Atherosklerose. Daher empfehlen Guidelines, ab zirka zehn Jahren mit der pharmakologischen Therapie zu beginnen. Hierfür stehen heute viele potente Optionen zur Verfügung. Aus Platzgründen wollen wir nur auf die Neuzugänge eingehen. Seit Dezember 2020 gibt es nun mit Inclisiran neben den bereits etablierten monoklonalen Antikörpern eine halbjährlich subkutan zu verabreichende siRNA-Therapie gegen PCSK9.

Bempedoinsäure ist in der EU seit April 2020 auf dem Markt. Dabei handelt es sich um einen leberspezifischen ATP-Citrat-Lyase-Hemmer. Dieses Enzym ist der HMG-CoA-Reduktase vorgelagert und bewirkt eine Senkung der hepatischen Cholesterinsynthese, was – wie auch bei den Statinen – zu einer verstärkten Expression der LDL-Rezeptoren führt.