Forscher sind nun der Meinung, dass Gähnen nicht, wie bisher angenommen, das Gehirn mit Sauerstoff versorgt oder abkühlt. Vielmehr ist Sozialverhalten als Grund für das herzhafte "Mundaufreißen" wahrscheinlich. Menschen sind auf das Leben in der Gruppe angewiesen und haben sich dementsprechend entwickelt. Schon Babys reagieren auf Gefühle, die sie aus den Augen ihrer Eltern lesen. Das Gähnen ansteckend wirkt, soll ebenfalls auf unsere Ausrichtung auf die Gruppe zurückzuführen sein. Denn je besser wir jemanden kennen, desto eher gähnen wir mit ihm mit. Menschen mit Erkrankungen des Autismus-Spektrums weisen oft fehlende Empathie auf und werden demnach vom Gähnen anderer nicht angesteckt.
Ein Erklärungsansatz dafür, warum Gähnen ansteckend ist, könnte noch aus Urzeiten stammen. Damit zusammenlebende Gruppen gemeinsamen Aktivitäten nachgehen konnten, mussten sie einen ähnlichen Schlafrhythmus einhalten. Durch das Gähnen signalisierten die ersten, die müde wurden, den anderen, dass es an der Zeit war schlafen zu gehen. Indem die anderen das Gähnen nachahmten, drückten sie Einverständnis zum baldigen Einschlafen aus.
Ansteckendes Gähnen ist auch bei unterschiedlichen Spezies möglich. Manche Tiere gähnen sogar, wenn Menschen das tun. Bei Schimpansen liegt das wahrscheinlich an ihrer Ähnlichkeit zum Menschen; bei Hunden daran, dass sie seit Jahrhunderten mit dem Menschen zusammenleben.
Elisabetta Palagi und ihr Team ließen dazu verschiedene Tier-Arten einander beim Gähnen zusehen. Bei vertrauten Artgenossen gähnten Schimpansen am häufigsten mit. Da sie die Gähnenden bereits kannten, fühlten sie sich sicher, sind die Forscher überzeugt. Da Gähnen mit dem Einschlafen in Verbindung gebracht wird, ist logisch, dass ein Sicherheitsgefühl die Gähn-Wahrscheinlichkeit fördert. In einer bekannten Gruppe fühlen sich Schimpansen wohler, was ihnen ein gutes Klima zum Einschlafen bietet. Deshalb gähnen sie dann eher.
Dieselbe Erfahrung machten die US-amerikanischen Forscher auch bei Menschen. Wie bei Schimpansen wurde auch hier in einer Gruppe, die sich kannte, häufiger mitgegähnt. In einem Experiment gähnten Menschen bei Fremden am seltensten, bei Freunden schon öfters und bei Familienmitglieder sehr häufig mit. Das bestätigt, dass Menschen sich wohl fühlen müssen, um gut schlafen zu können, und sich in ihrem Schlafverhalten an einer bekannten Gruppe orientieren.
Außerdem stellten die Forscher auch fest, dass mitfühlende Menschen generell häufiger mitgähnten. Wer sich gut in andere hineinversetzen kann, möchte durch eine ähnliche Körpersprache Sympathie bekunden. Dazu zählt auch das Mitgähnen.