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Liebesgeheimnis: Nach 40 Jahren noch verliebt

Älteres Paar sitzt glücklich auf der Couch.
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Liebe ist auch Arbeit – frischen Sie ihre Beziehung immer wieder auf. (stockfour / Shutterstock.com)

30 Jahre verheiratet und noch immer glücklich wie am ersten Tag? Ein freundliches Miteinander, das Wissen, um eine gute Beziehung zu führen und dazu eine erfüllte Sexualität? Kein Stoff für neue Hollywood-Filme, sondern lebbare Realität. Man muss nur ein paar Ingredienzien kennen und die Liebe lebt auf.

Nach Jahrzehnten gemeinsamen Miteinanders schleichen sich unweigerlich auch Lustlosigkeit und Langeweile in die Beziehung zwischen zwei Menschen ein. Das suggerieren einschlägige mediale Literatur, Werbung, Film und Fernsehen. Anders sieht dies der Schweizer Psychiater und Psychotherapeut Claus Buddeberg, denn er hat dieses Phänomen im Rahmen seiner langjährigen Praxis eingehend untersucht. Der Mediziner weiß, wovon er spricht, denn seit 30 Jahren leitet er die Sexualmedizinische Sprechstunde am Universitätsspital Zürich. Einen Grund dafür, dass in langjährigen Partnerschaften in puncto Sexualität oftmals Stillstand herrscht, kennt Claus Buddeberg: "Frauen und Männer sind – was Sex in länger dauernden Beziehungen betrifft – schlicht und einfach feige. Sie können und möchten ihre Wünsche und Fantasien nicht zeigen – lieber leben sie diese in außerehelichen Partnerschaften, weil sie befürchten, dass sie vom Ehepartner abgelehnt werden."

Tipp 1: Keine Angst vor Ablehnung

Doch so einfach lässt sich das Phänomen nicht vom Tisch wischen, nicht verbergen, ignorieren, denn Wünsche und Fantasien sind auch durch das jeweilige Verständnis von Sexualität bestimmt. Jeder Mensch hat eine Art sexuelles Profil. Ist die Beziehung im Anfangsstadium, überlappt sich dieses Profil weitgehend. Die Phasen gemeinsamer Wünsche und gemeinsam gelebter Sexualität umfassen anfangs große Teile der geteilten Zeit. Mit fortschreitender Entwicklung der Partnerschaft nehmen jedoch sowohl Mann wie auch Frau mehr und mehr "Rücksicht" auf ihren Partner. Im Klartext: Sie möchten den Geliebten, die Geliebte nicht mit Wünschen oder Fantasien konfrontieren, die Ablehnung hervorrufen könnten. Ehe die ersten Abnutzungserscheinungen auftreten, vergehen im Schnitt 1 bis 2 Jahre. Ist die erste Ekstase abgeklungen, verändert sich das Bild, so Claus Buddeberg: "Die gemeinsamen Wünsche und Fantasien werden zusehends weniger, dadurch wird die Partnerschaft langweilig und letztlich nicht mehr gelebt." Hinzu kommt, dass unerfüllte Wünsche oft nach außen, auf einen anderen Partner projiziert werden. Die Partnerschaft nützt sich ab, ohne dass man es vielleicht bewusst wahrnimmt.

Tipp 2: Dem Selbstzweifel in der Beziehung keine Chance geben

"Schuld" an diesen nicht erfüllten Wünschen und nicht gelebten Fantasien haben Zweifel, mit denen jeder Mann, jede Frau im Laufe einer Paarbeziehung konfrontiert wird. Die Zweifel an sich selbst und am Partner blockieren Humor und Fantasie und lassen Sex zu einem lähmenden Phänomen verkümmern. Die Bandbreite, in der sich aufkeimende Unsicherheit zeigt, ist groß. Prof. Claus Buddeberg: "Es können körperliche Zweifel auftreten – verbunden mit Fragen wie 'Bin ich fit genug?'. Ein paar Kilo zu viel, die schwindende Kondition, eine nicht ganz perfekte Frisur oder die mit den Jahren und im Alter verblassende Libido können starke Selbstzweifel verursachen. 'Bin ich geistig rege, intelligent und leistungsfähig?' 'Bin ich überhaupt attraktiv für meinen Partner?' Es geht aber auch um die Frage, wie ich mich selbst erlebe, also um meine Identität. Der Zweifel ist – wenn man ihn zulässt – ein ständiges Begleit-Phänomen."

Tipp 3: Reden statt in der Beziehungskiste graben

Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit, denn Frauen und Männer gehen mit Zweifel unterschiedlich um: Während Frauen eher dazu tendieren, die Partnerschaft aufzugeben, ergreifen Männer die Flucht und wenden sich Außenbeziehungen zu. Der Sexualmediziner rät, jede Art von Zweifel auf den Tisch zu bringen, denn sie können eine Beziehung auch weiter entwickeln. Doch vielen Ehepaaren hat es buchstäblich die Sprache verschlagen. Über das Sexualleben wird nicht angemessen gesprochen. Wenn "sie" sich z.B. "danach" mehr Zärtlichkeit wünscht und "er" lieber einschläft, wird es zunächst zu endogenen Problemen kommen. Werden sie nicht ausgesprochen, gärt es im Inneren und zwar so lange, bis eine große Eruption zutage tritt. Dann wird aus einer konstruktiven Diskussion nur mehr eine Aneinanderreihung von Vorwürfen. Dabei wird mit "alten Geschichten" aus der Beziehungsmottenkiste mitunter nicht gespart – und schon ist das Paar weg vom eigentlichen Thema. Werden Bedürfnisse und Wünsche also langfristig tabuisiert, kann dies zu handfesten Konflikten führen, die oft nur mithilfe einer Gesprächstherapie lösbar sind.

Tipp 4: "Mach mich glücklich!" funktioniert nicht

Als wesentlichen Lustkiller einer in die Jahre gekommenen Beziehung sieht Buddeberg auch die sogenannte "Verdinglichung der Zweierbeziehung" – eine häufige Spielart in einer materiell geprägten, westlichen Gesellschaft. Der Mediziner: "Verdinglichung ist ein Phänomen, das man unterschwellig in vielen Paarbeziehungen findet, nämlich, dass man Partner instrumentalisiert für Zwecke, die einem selbst wichtig und angenehm sind." In langjährigen Beziehungen kommen freilich auch andere Aspekte ins Spiel: man ist nicht allein, hat gemeinsame Hobbys und Freunde. "Verdinglicht" man den Partner aber, indem man all die eigenen Wünsche auf ihn projiziert und den anderen für das eigene Glücklichsein verantwortlich macht, ist das ein Grundstein für Lustlosigkeit oder Desinteresse – nicht nur an der Sexualität, sondern auch am gemeinsamen Alltag. Sexualität ist für den Experten daher auch ein Spiegel, der den Zustand der Gesamtbeziehung widergibt. Claus Buddeberg: „Was sich auf der sexuellen Bühne abspielt, ist typisch für alles, was in der gesamten Beziehung stattfindet. Es ist mit einem Blitzlicht vergleichbar, eine kurze Momentaufnahme, die abbildet, was in einer Beziehung gerade stattfindet."

Tipp 5: Respekt & Komplimente, auch im turbulenten Alltag

Ob ein verständnisvolles, liebevolles Miteinander, ein temperamentvolles Zusammenspiel oder ein ruhiges Dahinsegeln in Harmonie: wie das Paar seine sexuelle Beziehung gestaltet, so zeigt sich dieses Miteinander, Zusammenspiel oder Dahinsegeln auch im Außen. Zweifel sollten dabei keine Bühne haben. Das Rezept des Sexualmediziners ist es daher, nach Möglichkeit alle Zweifel sofort auszuräumen, der Fantasie ihren Lauf zu lassen und Kreativität in die Beziehung zu bringen. Das beginnt schon frühmorgens beim Frühstück: Statt Ihrem Partner sachliche Anweisungen für den Alltag zu geben, wäre vielleicht ein zärtliches Kompliment eher angebracht. Gegenseitiges Riechen, Fühlen – Erdbeeren mit Schlagsahne im Schlafzimmer können eventuell weit über ihre Funktion des Hunger-Stillens hinausgehen. Fantasie und Humor sind Rezepte, die möglicherweise ganz neue Rituale hervorbringen.

Tipp 6: Sexualität ist ein Teil von uns

Sexualität ist ein Bestandteil der Gesamtpersönlichkeit, ihre Bedeutung im Laufe der Zeit aber sehr wandelbar. So etwa nehmen sexuelles Interesse und Aktivität mit den Jahren ab und zwar fast unabhängig davon, in welchem Lebensalter die Partnerschaft begonnen hat. Claus Buddeberg: "In den ersten 1 bis 2 Jahren einer Beziehung hat ein Paar im Schnitt 9-10 Mal pro Monat Geschlechtsverkehr. Nach 5 Jahren sinkt diese Aktivität auf 4 bis 5 Mal pro Monat." Dennoch bleibt die Sexualität auch im Alter erhalten. Claus Buddeberg: "In den 1980er-Jahren waren die Menschen, die in meine Praxis kamen, maximal 50 Jahre alt, heute kommen auch Männer und Frauen Mitte 70 zu mir und sprechen über ihre Wünsche und Probleme."

 

Oftmals ist es eine Befangenheit, die die Lust im Alter lähmt. Die Scham, den alternden Körper zu zeigen, die Angst vor möglichen Kränkungen durch den Partner oder hormonelle Veränderungen oder Libidoverlust sind häufige Probleme, die Frauen betreffen. Aber auch bei Männern führen Kränkungen, funktionelle Störungen oder Hormonumstellung zu einem Libidoverlust. Andererseits besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Qualität einer Beziehung und einem befriedigenden Sexualleben. Sex wird im Alter immer unwichtiger, Zärtlichkeit in der Sexualität, auch um die Lust zu entfachen, gewinnt jedoch an Bedeutung.

AUTOR


Dr. Doris Simhofer
REDAKTIONELLE BEARBEITUNG


Mag. Carmen Hiertz, BA


ERSTELLUNGS-/
ÄNDERUNGSDATUM


14.07.2016 / 13.05.2019
QUELLEN
Sexualberatung. Eine Einführung für Ärzte, Psychotherapeuten und Familienberater, C. Buddeberg, Thieme, 2005
Guter Sex trotz Liebe, U. Clement, Ullstein, Berlin, 2008