Progressive Muskelentspannung nach Jacobson

Frau praktiziert Progressive Muskelentspannung
Der Leitgedanke bei der Progressiven Muskelentspannung: ein entspannter Körper führt zu einem entspannten Geist.
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Stress und psychische Belastung führen zu einer erhöhten Anspannung der Muskulatur. Über einen längeren Zeitraum leidet darunter nicht nur der Körper, sondern auch die Seele.

Medizinische Expertise

Manuela Sagmüller

Mag.a Manuela Sagmüller

Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin
Lindengasse 28/8, 1070 Wien
www.manuela-sagmueller.at
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Inhaltsverzeichnis

Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und innere Unruhe können die Folgen sein. Die Methode der Progressiven Muskelentspannung wurde vom amerikanischen Arzt Edmund Jacobson entwickelt. Über die abwechselnde Spannung und Entspannung einzelner Muskelgruppen kann ein vertieftes Ruhegefühl erreicht werden. Die damit einhergehende Muskelentspannung wirkt sich wohltuend auf Körper und Geist aus.

  • Bei der progressiven Muskelentspannung soll eine abwechselnde Abfolge von Anspannung und Entspannung zu einem besseren Ruhegefühl beitragen.
  • Hintergrund der Methode sind unbewusste Muskelanspannungen, die bei unangenehmen Gefühlen wie Stress oder Angst automatisch auftreten.
  • Unterteilt wird das Training in 5 Phasen: Hinspüren, Anspannen, Spannung anhalten, Loslassen und Nachspüren.
  • Ungeeignet ist die Methode nur in Ausnahmefällen wie etwa bei Menschen mit schwerer körperlicher Behinderung oder neurologisch bedingten Konzentrationsstörungen.

Die Methode setzt an der Muskulatur an und beruht auf dem Prinzip von Anspannung und Entspannung: Stress oder Angst gehen mit einer reflexartigen Anspannung der Muskulatur einher – der Sympathikus wird aktiviert. Das ist jener Teil des vegetativen Nervensystems, der für Erregung und Aufmerksamkeit sorgt. Umgekehrt bewirkt eine Lockerung der Muskulatur ein Ruhegefühl – das freut wiederum den Gegenspieler des Sympatikus, den Parasympathikus. Das ist jener Teil des Nervensystems, der für Entspannung sorgt. Mittels einer intensiven muskulären Entspannung wirkt die Progressive Muskelentspannung einer Stressreaktion entgegen. Der Leitgedanke dabei: ein entspannter Körper führt zu einem entspannten Geist.

Progressiv bedeutet voranschreitend. Die gesamte Skelettmuskulatur wird Schritt für Schritt entspannt. Das Besondere dabei: der Entspannungszustand betrifft nicht nur die willentlich zu beeinflussende Muskulatur, sondern auch die willentlich nicht zu beeinflussende Muskulatur – so unter anderem die Muskeln das Magen- und Darmtraktes.

Die Methode entwickelt hat der Physiologe Edmund Jacobson, der sich mit der Funktion der Muskulatur auseinandergesetzt hat. Er erkannte, dass Menschen, die unter Unruhe und Ängsten litten eine erhöhte Muskelspannung aufwiesen. Gleichzeitig fand er heraus, dass das Stressgefühl signifikant abnahm, wenn sich der Muskeltonus reduzierte. Basierend auf diesen Beobachtungen und darauf aufbauenden Studien entwickelte Jacobson 1938 eine aktive, körperorientierte Entspannungsmethode.

Progressive Muskelentspannung kann sowohl im Stehen, als auch im Sitzen und Liegen durchgeführt werden. Einzige Voraussetzung ist die Fähigkeit, Muskeln an- und wieder entspannen zu können. Im Grundverfahren werden 17 verschiedene Muskelgruppen angesprochen, die jeweils angespannt und wieder gelockert werden. Jede Übung durchläuft dabei 5 Phasen. Im Detail verläuft das Entspannungstraining nach folgendem Muster:

Jede fokussierte Muskelgruppe durchläuft folgende 5 Phasen:

  • Phase 1 – Hinspüren: Die ganze Konzentration fokussiert sich auf die betreffende Muskelgruppe.

  • Phase 2 – Anspannen: Die jeweilige Muskelgruppe wird angespannt. Die Spannung soll deutlich spürbar, jedoch nicht krampfhaft sein.

  • Phase 3 – Spannung anhalten: Die Spannung sollte 7-10 Sekunden aufrecht gehalten werden, wobei sich die Aufmerksamkeit stets auf die betreffende Muskelgruppe richtet.

  • Phase 4 – Loslassen: Es folgt die Lockerung der Muskelspannung.

  • Phase 5 – Nachspüren: Die Aufmerksamkeit richtet sich für weitere 30 Sekunden auf die betreffende Muskelgruppe. Die Wahrnehmung sollte ohne Bewertung erfolgen.

Nachstehend finden Sie den gesamten Übungs-Komplex, wobei es durchaus effektive Kurzformen gibt, die weniger Zeit in Anspruch nehmen.

  • Hand und Unterarm: Machen Sie mit Ihrer aktiven Hand (bei Rechtshändern ist das die rechte, bei Linkshändern die linke Hand) eine Faust.

  • aktiver Oberarm: Beugen Sie Ihren Ellenbogen mit geöffneter Hand nach oben.

  • andere Hand und Unterarm: Machen Sie mit der anderen Hand eine Faust

  • anderer Oberarm: Beugen Sie den anderen Ellenbogen mit geöffneter Hand nach oben

  • Stirn: Ziehen Sie Ihre Augenbrauen nach oben und runzeln Sie die Stirn.

  • Augen und Nase: Kneifen Sie die Augen zu und rümpfen Sie die Nase.

  • Lippen und Kiefer: Pressen Sie die Lippen aufeinander und drücken Sie die Zunge an den Gaumen.

  • Nacken und Hals: Neigen Sie den Kopf abwechselnd nach rechts und links.

  • Schultern: Ziehen Sie die Schultern hoch.

  • Bauch: Spannen Sie den Bauch an, ohne die Luft anzuhalten.

  • Gesäß- und Beckenbodenmuskulatur: Spannen Sie die Gesäß- und Beckenbodenmuskulatur so fest wie möglich an.

  • rechter Oberschenkel: Heben Sie das Bein an.

  • rechter Unterschenkel: Drücken Sie Ihren Fuß nach oben.

  • rechter Fuß: Krümmen Sie die Zehen nach innen.

  • linker Oberschenkel: Heben Sie das Bein an.

  • linker Unterschenkel: Drücken Sie Ihren Fuß nach oben.

  • linker Fuß: Krümmen Sie die Zehen nach innen.

  • Kleidung: Auf weite Kleidung achten. Eng anliegende, drückende Kleidung schränkt nicht nur die Bewegungsfreiheit ein, sondern wirkt sich auch negativ auf die Konzentration aus.

  • Zeitpunkt: Versuchen Sie den für Sie günstigen Zeitpunkt so zu legen, dass Sie täglich 20 - 25 Minuten zur Verfügung haben. In dieser Zeit sollten Sie nicht gestört werden oder unter Zeitdruck stehen.

  • Umgebung: Gut ist es, einen ruhigen, bedarfsweise auch abgedunkelten Raum zu wählen. Schalten Sie Ihr Handy auf lautlos und achten Sie darauf, dass zum Zeitpunkt Ihrer Übungseinheiten keine Personen oder Haustiere im Zimmer sind.

  • Atmung: Wichtig ist es, während der Übungen ruhig weiter zu atmen.

  • Aufmerksamkeitsfokussierung: Gerade bei Anfängern kommt es häufig vor, dass die Aufmerksamkeit abschweift. Akzeptieren Sie diese Gedankenverlorenheit. Versuchen Sie jedoch, den Fokus immer wieder ganz bewusst auf die betreffende Muskelgruppe zu lenken.

Progressive Muskelentspannung hat einen direkten Einfluss auf den Körper. Der Körper schaltet vom Arbeits- in den Ruhemodus. Im Zustand der Entspannung ist der Körper nicht auf Leistung, sondern auf Regeneration eingestellt. Man unterscheidet dabei zwischen sofort spürbaren Auswirkungen und langfristigen Effekten, die sich erst mit zunehmendem Übungsfortschritt einstellen. Im Konkreten sind das:

Unmittelbare Auswirkungen auf den Körper

  • der Parasympathikus, jenes Nervensystem, das für Entspannung sorgt, wird aktiv.

  • die Herzfrequenz sinkt.

  • der Blutdruck sinkt.

  • die Pupillen verengen sich.

  • die Muskeln werden schwerer.

  • die Schultern sinken.

  • der Kopf kann bei den Übungen nach vorne kippen.

  • die Wahrnehmung ändert sich.

  • es kommt zu einem Gefühl der geistigen Frische.

  • es tritt ein angenehmes Gefühl der Entspannung ein.

Langfristige Auswirkungen auf den Körper

  • Konzentration, Gedächtnis und Ausdauer werden gefördert.

  • die körperliche Wahrnehmung verbessert sich.

  • es kommt zu einer Sensibilisierung für körperliche, seelische und geistige Vorgänge.

  • positive Körperempfindungen werden intensiver wahrgenommen.

  • Selbsterkenntnis und Selbstverantwortung werden trainiert.

  • die eigene Gelassenheit wird gefördert.

  • die Lebensqualität steigt.

  • Stress kann ganz allgemein besser bewältigt werden.

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Progressive Muskelentspannung wird sowohl in der Therapie von bestehenden Beschwerden, als auch in der Prävention – in der Gesunderhaltung von Körper und Geist – angewandt. Beispiele für Anwendungsgebiete, wo gute Erfolge erzielbar sind:

KÖRPERLICHE INDIKATIONEN PSYCHISCHE INDIKATIONEN
  • Ängste
  • Stressreaktionen
  • Phobien
  • Unzufriedenheit
  • Stimmungsschwankungen
  • seelische Druckgefühle
  • depressive Verstimmungen
  • Depressionen
  • Ein- und Durchschlafstörungen
  • sexuelle Störungen

Progressive Muskelentspannung ist eine leicht erlernbare Methode, die in vielen Fällen hilfreich ist. In Ausnahmefällen sollte jedoch darauf verzichtet werden. Konkret sollte bei folgenden Krankheitsbildern und Situationen davon abgesehen werden:

  • bei mangelndem Konzentrationsvermögen (sofern dieses hirnorganisch bedingt ist)

  • bei einer Lumbago (das ist eine schmerzhafte Erkrankung der Wirbelsäule, die mit einer Bewegungseinschränkung einhergeht)

  • bei schweren psychiatrischen Erkrankungen (z.B. Schizophrenie und Psychosen)

  • bei Herzschwäche

  • bei schweren körperlichen Behinderungen, insbesondere dann wenn Muskelkontraktion unmöglich ist

  • bei Einnahme von Beruhigungsmitteln

  • bei Epilepsie

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Autor:in:
Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Zuletzt aktualisiert:

26. August 2020

Erstellt am:

21. Juli 2016

Stand der medizinischen Information:

26. August 2020

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