Erste Hilfe bei Vergiftung

Kleinkind erkundet den Putzmittel-Schrank
Bei einer Vergiftung mit einer Chemikalie auf keinen Fall etwas nachtrinken.
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Erbrechen, Atemnot, Bauchschmerzen oder Ohnmacht? Bei diesen Beschwerden kann es sich auch um eine Vergiftung handeln.

Medizinische Expertise

Thomas Uray

Assoc. Prof. Dr. Thomas Uray, MPH

Facharzt für Innere Medizin und Intensivmedizin
Spitalgasse 23, 1090 Wien
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Im Verdachtsfall einer Vergiftung sofort die Rettung rufen (Tel: 144 bzw. Notruf 122). Das weitere Vorgehen ist situationsabhängig. Sind z.B. Chemikalien ins Auge geraten, sollte man dieses mindestens 10 Minuten lang mit klarem, kaltem Wasser gründlich spülen. Individuelle telefonische Beratung geben auch Ärzte der Vergiftungsinformationszentrale (Tel: 01/ 406 43 43), die bis zum Eintreffen des Rettungsteams (Tel: 144) anleitend helfen.

Folgende Fragen könnten beim Telefongespräch auftreten:

FRAGEN

WAS ANTWORTEN?

was wurde geschluckt?

die (möglichst) genaue Bezeichnung des Produktes, der Substanz (z.B. Medikament, Chemikalie, Haushaltsmittel, Droge, Pflanzenteil) nennen

wie viel hat der Betroffene zu sich genommen?

die (möglichst) exakte Mengenangabe (Anzahl von Tabletten, ggf. Volumenangabe: Anzahl von Ess- oder Teelöffeln) nennen

um wen handelt es sich?

Geschlecht, Alter, Gewicht, Zustand des Betroffenen

wann hat die Vergiftung stattgefunden?

den Zeitpunkt des Kontaktes mit dem Produkt/Giftstoff angeben

wo ist das alles passiert?

den Ort nennen

wie ist es dazu gekommen?

auf die Ursache der Vergiftung eingehen (Verschlucken, Einatmen, Haut- oder Augenkontakt)

warum hat sich der Betroffene vergiftet?

ev. persönliche Hintergründe des Notfalls (bewusstes oder unbewusstes Auslösen der Vergiftung) nennen

Das konkrete Vorgehen hängt stark von den Umständen ab, welche die Vergiftungserscheinungen hervorgerufen haben. Bei jedem Notfall sind zuerst nachstehende Schritte einzuleiten:

  • Achten Sie auf Ihren Selbstschutz: Wenn Verdacht auf eine Kohlenmonoxidvergiftung besteht, halten Sie sich selbst nicht zu lange im Raum auf. Kollapsgefahr! Rufen Sie die Rettung (Tel: 144) – und in diesem Fall – auch die Feuerwehr (Tel: 122). Verwenden Sie Handschuhe, z.B. nach dem Kontakt mit Säuren.
  • Bringen Sie den Patienten aus der Gefahrenzone: Bei einer Kohlenmonoxidvergiftung – wenn möglich – ab ins Freie. Zuführung von Frischluft!
  • Sprechen Sie die Person an: Versuchen Sie zu erfragen, was passiert ist. Erfolgt keine Antwort, berühren Sie diese. Wenn noch immer keine Reaktion kommt, leiten Sie wiederbelebende Maßnahmen ein (Atemkontrolle bzw. Herzdruckmassage/ Mund-zu-Mund Beatmung)
  • Führen Sie 10 Sekunden lang die Atemkontrolle durch: Kopf überstrecken, indem eine Hand auf der Stirn liegt, die andere das Kinn des Betroffenen nach unten drückt: Hören Sie die Person atmen? Fühlen Sie Atembewegung an ihren Wangen? Sehen Sie, dass sich der Brustkorb hebt und senkt?
  • Wenn regelmäßige Atmung vorhanden ist, den Betroffenen in die stabile Seitenlage bringen. Die stabile Seitenlage ist auch bei Bewusstlosigkeit erforderlich, d.h. wenn der Patient weder auf Ansprache noch auf Berührung reagiert.
  • Bei nur unregelmäßigem Atmen, Schnarchen oder langsamer, ganz tiefer Atmung (einer "Schnappatmung") oder wenn überhaupt keine Atmung feststellbar ist, liegt ein Herz-Kreislaufstillstand vor. Beginnen Sie sofort mit der Wiederbelebung (Reanimation) und verwenden Sie, wenn in der Nähe greifbar, einen Defibrillator.

Je nach Ursache der Vergiftung sollten Sie dann bis zum Eintreffen des Notarztes wie folgt vorgehen:

VERGIFTUNG DURCH…

ERSTE-HILFE-MASSNAHME

Einnahme bzw. Überdosierung von (giftigen) Substanzen oder Lebensmitteln z.B. Medikamenten, Reinigungsmitteln oder bestimmten Pilzarten, wie Knollenblätterpilze

Mundhöhle von Giftresten säubern

Versuchen Sie Rückstände mit dem Finger – unter Verwendung von Einmalhandschuhen – oder ggf. mit einem Waschlappen aus dem Mund zu wischen

Verpackung des Produktes/der Substanz sicherstellen

Gilt auch für eventuelle Giftreste oder Erbrochenes

WICHTIG: Keine Flüssigkeiten trinken
Vor allem Milch beschleunigt die Giftaufnahme im Darm

Erbrechen nicht hervorrufen
Führt zu einer Verätzung der Speiseröhre.

Einatmung von Gasen
z.B. Kohlenmonoxid – führt häufig zu einer Rauchgasvergiftung.

Den Betroffenen aus der Gefahrenzone bringen
Frische Luft zuführen

Wenn möglich, die Wohnung verlassen und ab ins Freie – Vorbeugung von Ohnmacht.

Atemkontrolle vornehmen und ggf. in stabile Seitenlage bringen

Raum gut durchlüften
Fenster und Türen öffnen. Diese Maßnahme können Sie aus Sicherheitsgründen auch der Feuerwehr überlassen.

Chemikalien in den Augen z.B. Säuren

Verätztes Auge mit klarem, kaltem Wasser gründlich ausspülen
Dauer: Mindestens 10 Minuten, jedenfalls so lange spülen, bis die Rettung eintrifft. Augenlid dabei so gut wie möglich offen halten.

WICHTIG: Immer von der Nase nach außen zur Schläfe spülen

Sonst besteht die Gefahr, dass Giftreste auch in das andere – möglicherweise nicht betroffene – Auge kommen

Kontakt giftiger Substanzen mit der Haut

Betroffene Hautareale gründlich mit kaltem Wasser spülen

Nicht verletzte Hautpartien aussparen, d.h. den Wasserstrahl nur auf die verätzte Körperregion, z.B. den Oberarm, richten

WICHTIG: Benetzte Kleidung nicht entfernen

Das könnte zu größerem Schaden führen, wenn tiefere Hautschichten dadurch "mitgerissen" werden!

Rund 1.100 Kinder müssen jährlich mit Vergiftungserscheinungen ins Spital gebracht werden. Zurückzuführen ist dieser Umstand meist auf den Entdeckungsdrang der Kleinen. Wichtig: Reinigungsmittel, Tabletten oder auch giftige Pflanzen so verstauen, dass Kinder keinen Zugang haben. Besonders gefährdet für Vergiftungen sind Kinder zwischen 7 Monaten und 4 Jahren.

Anders sieht die Situation hingegen bei Jugendlichen und Erwachsenen aus. Spitzenreiter bei den Ursachen ist die übermäßige Einnahme von Drogen, besonders der Alkoholkonsum unter jungen Menschen hat stark zugenommen. Pro Jahr erhalten rund 3.000 Teenager die Diagnose "Alkoholvergiftung". Auch Antidepressiva und Schlafmittel werden oft missbräuchlich eingesetzt.

Es wird zwischen 3 Vergiftungsarten unterschieden:

  • Akute Vergiftungen: liegen vor, wenn absichtlich oder aus Versehen giftige Substanzen geschluckt werden (z.B. Reinigungsmittel).
  • Chronische Vergiftungen: entstehen durch Giftstoffe, die dauerhaft auf den Körper einwirken. Beispiele: Rauchen (Nikotin), regelmäßig erhöhte Zufuhr von Alkohol, aber auch die Langzeiteinnahme bestimmter Medikamente. Allergien, die Asthma auslösen können, oder Atemwegserkrankungen wie COPD haben ihren Ursprung möglicherweise in einer chronischen Vergiftung.
  • Angeborene Vergiftungen: sind auf eine Fehlfunktion des Körpers zurückzuführen. Die Vergiftung wird durch körpereigene Stoffe ausgelöst, z.B. Harnvergiftung aufgrund von Nierenversagen. In diesem Fall ist eine regelmäßige Dialyse unumgänglich.

Gelangt Gift in den Organismus – beispielsweise durch den Verzehr giftiger Pilze – hindert es den Körper an seinen natürlichen Reaktionsabläufen. Je nach Art des Giftes wirkt die Substanz auf bestimmte Sinneszellen (so genannte Rezeptoren) im Körper. Anstelle von wichtigen Proteinen oder etwa Hormonen, setzt sich plötzlich ein Giftstoff an der Zelloberfläche fest und blockiert die jeweilige Zelle in ihrer Arbeit. Folglich werden die von der Zelle empfangenen Reize nicht korrekt an das Zentralnervensystem (Gehirn und Rückenmark) weitergeleitet.

Es kommt zu typischen Symptomen, die auf eine Vergiftung hinweisen können. Dazu gehören z.B.

  • Atemnot
  • Schwindel
  • Ohnmacht
  • Bauchschmerzen
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Hautrötungen
  • Abgeschlagenheit

Darüber hinaus ist es möglich, dass Lähmungen auftreten, wenn der Giftstoff die Nerven angreift. Andere giftige Substanzen haben es hingegen auf die Muskelzellen abgesehen. Werden diese durch das Gift blockiert, funktionieren Herz- und Atemmuskulatur nicht mehr. Das führt zu Atemstillstand und Herzversagen.

Wie schnell Vergiftungserscheinungen auftreten – und mit welchen Beschwerden sich diese äußern – hängt von Art und Menge der zugeführten Substanz ab. Während bei Schlangenbissen das Gift teilweise in Sekundenschnelle wirkt, lösen Pilzvergiftungen oft erst nach Stunden oder sogar Tagen Symptome aus.

Auch eine chronische Vergiftung kann z.B. Bauchschmerzen und Hautprobleme verursachen. Hinzu kommen häufig noch Müdigkeit und daraus resultierender Leistungsabfall – Anzeichen, die jedoch nicht zwingend mit einer Vergiftung zu tun haben müssen. Vielleicht sind sie Ausdruck einer zugrundeliegenden Depression oder des Fatigue-Syndroms. Sollten die Beschwerden regelmäßig auftreten, ist auf jeden Fall eine ärztliche Abklärung erforderlich.

Egal ob die Bisswunde nach einem Schlangenbiss oder etwa Hautverätzungen nach dem Kontakt der Haut mit giftigen Flüssigkeiten: Akute Vergiftungen sind oft schon mit freiem Auge erkennbar. Wurden dem Körper über den Mund giftige Substanzen zugeführt, können auftretende Symptome, wie Übelkeit, Erbrechen oder z.B. Bauchschmerzen Anzeichen einer Vergiftung sein.

Darüber hinaus kann der Arzt folgende Methoden anordnen, um infolge die passende Therapie einzuleiten:

  • Blutuntersuchung: Ein Bluttest wird beispielsweise durchgeführt, um zu klären, welche Arznei- und/oder Haushaltsmittel geschluckt wurden. Auch chronische Vergiftungen, etwa mit Quecksilber, lassen sich durch eine Blutuntersuchung nachweisen. Darüber hinaus wird nach Kohlenmonoxidvergiftungen eine Blutgasanalyse herangezogen. Sie liefert Informationen über die Höhe des Gases im Blut. Davon hängt ab, wie lange der Patient im Krankenhaus behandelt werden muss.
  • Urintest: ist u.a. bei Verdacht auf eine bestehende Drogenvergiftung sinnvoll.
  • Stuhlprobe: gibt z.B. Aufschluss darüber, ob eine Salmonellenvergiftung vorliegt.

Liegt eine Vergiftung vor, ist rascher Handlungsbedarf gefragt. Welche Therapiemaßnahmen eingeleitet werden, hängt von der Situation ab:

VERGIFTUNGSURSACHE

THERAPIE


Einnahme bzw. Überdosierung von (giftigen) Substanzen oder Lebensmitteln z.B. Medikamenten, Reinigungsmitteln, giftigen Pilzen… etc.

Gabe von Aktivkohle
bindet das Gift

Darmspülung
nur wenn Patient bewusstlos ist und künstlich beatmet werden muss

Einatmung von Gasen
z.B. Kohlenmonoxid, Ammoniak

Verabreichung von Sauerstoff
entweder über eine Maske oder durch eine Beatmungsmaschine

Augenkontakt mit Chemikalien
z.B. Säuren, Laugen… usw.

Entfernung aller Fremdpartikel
durch einen Augenarzt in einer Notfallaufnahme

Intensive Augenspülungen
mehrmals täglich

Augentropfen und Salben
mit antibiotischen und entzündungshemmenden Substanzen

Bei Bedarf:
Operative Entfernung abgestorbener Gewebereste

Verätzung der Haut
z.B. Säuren, Laugen

Professionelle Entfernung der benetzten Kleidung
durch einen Facharzt für Unfallchirurgie oder plastische Chirurgie

Keimfreie Reinigung des betroffenen Hautareals

Anlegen eines Verbandes

Hinter einer vorliegenden Vergiftung können viele Gründe stecken:

Medikamentenvergiftung

Eine Medikamentenvergiftung kann durch eine Arzneimittelüberdosierung passieren. Bei Kindern sind oft Verwechslungen die Ursachen. Mögliche Folgen einer Medikamentenvergiftung: Zittern, Berührungs- und Lichtempfindlichkeit, Erweiterung der Pupillen, bis hin zu erschwerter Atmung und Kreislaufproblemen.

Alkoholvergiftung

Eine Alkoholvergiftung äußert sich u.a. durch eine verlangsamte Reaktionsfähigkeit, erhebliche Sprach- sowie Gedächtnisstörungen und kann bis zum Kreislaufversagen führen. Dann helfen nur mehr sofortige Maßnahmen der Reanimation und permanente Kontrolle der Atemfunktion.

Kohlenmonoxidvergiftung

Kohlenmonoxid ist komplett farb- und geruchlos. Symptome können Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit bis zur Bewusstlosigkeit sein. Schuld an Kohlenmonoxidvergiftungen sind etwa schlecht gewartete Gasthermen oder defekte Heizöfen. Auch in der Dusche kann eine nicht gereinigte Therme zu einem derartigen Notfall führen.

Vergiftung durch Chemikalien

Sie löst meist rasch – bedingt durch die starke Ätzwirkung – heftige Schmerzen aus. Je nach Art und Menge der Substanz (z.B. Allzweckreiniger für den Haushalt) kommt es zu weiteren, unterschiedlich stark ausgeprägten Symptomen: Übelkeit, Erbrechen, intensiver Speichelfluss sowie Rötung und Schwellung des betroffenen Hautareals. Auch Husten, Atemnot und Bewusstseinstrübungen können die Folge sein. Vor allem Kinder sind gefährdet – die häufigsten Giftunfälle betreffen unter 4-Jährige.

Lebensmittelvergiftung

Eine Lebensmittelvergiftung wird häufig von Bakterien (z.B. Salmonellen) hervorgerufen, welche durch die Aufnahme verunreinigter Nahrungsmittel in den Organismus gelangen. Dort befallen sie die Darmschleimhaut und führen zu entzündlichen Prozessen im Magen-Darm-Trakt. Symptome, wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfall können aber auch auf den Kontakt des Körpers mit Schwermetallen oder Giftstoffen in verzehrten Fischen und Muscheln hindeuten. Ebenso kann sich eine mögliche Pilzvergiftung mit derartigen Anzeichen bemerkbar machen.

Folgende Tipps können helfen, den Ernstfall zu vermeiden:

  • Füllen Sie giftige Substanzen niemals in Lebensmittelbehälter (wie z.B. Tassen, Mineralwasser-, Limonaden-, oder Bierflaschen)
  • Kennzeichnen Sie Verpackungen mit giftigem Inhalt immer mit einem auffälligen Warnhinweis (wie z.B. "Achtung: GIFTIG!“)
  • Lagern Sie gefährliche Substanzen nie in der Reichweite von Kindern.
  • Bewahren Sie Medikamente in einer Hausapotheke auf und versperren Sie diese.
  • Achten Sie darauf, Giftstoffe nicht neben Lebensmitteln aufzubewahren.
  • Lassen Sie Ihr Kind keinesfalls unbeaufsichtigt neben Einkaufs- oder Handtaschen (darin verstaute Zigaretten, Parfüm oder z.B. Putzmittel können zu Vergiftungen führen.)

Autor:in:
Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Zuletzt aktualisiert:

10. August 2020

Erstellt am:

10. Februar 2016

Stand der medizinischen Information:

10. August 2020


ICD-Codes:
  • T42
  • T54
  • T56
  • T43
  • T40
  • T64
  • T61
  • T55
  • T39
  • T58
  • T51
  • T62
  • T52

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