Männliche Depression

Mann schämt sich für seine Depression.
Männer schämen sich häufig für ihre Depressionen und nutzen seltener Psychotherapien als Frauen.
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Depressionen bei Männern äußern sich häufig anders als bei Frauen: Betroffene Männer sind einerseits antriebslos, andererseits aber auch übertrieben leistungsgetrieben, gereizt und aggressiv.

Medizinische Expertise

Marc Nairz-Federspiel

Dr. med. univ. Marc Nairz-Federspiel

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin
Herrengasse 6-8/7/8, 1010 Wien
www.adbwien.at
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Weil sich diese Symptome eben von landläufig bekannten Anzeichen einer Depression unterscheiden, wird die Krankheit bei Männern häufig erst spät oder gar nicht als solche wahrgenommen. Phasen der Niedergeschlagenheit wechseln sich ab mit überaktiven Phasen hektischer Getriebenheit. Typisch sind erhöhte Risikobereitschaft und Alkohol- und Nikotinmissbrauch. Ohne Therapie kommt es zu dauerhaften Beschwerden, die sogar zum Suizid führen können. Antidepressiva und Psychotherapie sind die häufigsten Therapieformen.

  • Die Depression ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen und kann von starken Belastungen bis hin zu Selbstmord führen.
  • Männliche Depressionen werden oft erst spät erkannt und behandelt.
  • Oftmals leiden Betroffene auch an Schlafproblemen und verlieren Interessen und soziale Kontakte.
  • Eine gute Behandlungsmethode ist die Psychotherapie, häufig in Kombination mit einer medikamentösen Therapie.

Depressionen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Mindestens 400.000 Österreicher leiden derzeit an einer behandlungsbedürftigen Depression, die Dunkelziffer ist hoch. Männer dürften ebenso oft wie Frauen betroffen sein, die Erkrankung wird bei Männern jedoch seltener erkannt und behandelt.

Schwere Depressionen führen häufig zum Suizid. Die Suizidrate bei Männern ist wesentlich höher als bei Frauen. 20 von 100.000 Frauen in Österreich begehen Suizid, bei Männern sind es 180 von 100.000. Besonders suizidgefährdet sind ältere Männer. Neben dem hohen Anteil an nicht diagnostizierten psychischen Erkrankungen tragen auch Defizite in der Therapie der männlichen Depression zu der traurigen Statistik bei.

Ein häufiges Merkmal depressiver Männer ist ihr ausgeprägtes Leistungsdenken. Sie stellen an sich selbst hohe Ansprüche und leben mit der (oft unbewussten) Angst, diese nicht erfüllen zu können. Ihr Bild von sich selbst, sich in Arbeit und auch im Privatleben beweisen zu müssen, treibt sie zu hohem Engagement. Anerkennung durch ihre soziale Umwelt ist ihnen wichtig. Da ihr Selbstwert somit von Umständen abhängt, die sie nicht immer selbst beeinflussen können, entsteht bei (Gefahr von) Jobverlust oder bei Niederlagen aller Art rasch eine Abwärtsspirale. Um die Ziele zu erreichen, strengt man sich vermehrt an. Ist man bereits geschwächt (z.B. durch Schlafstörungen, Ängste oder zu viel Engagement), kann jedes weitere Problem die Spirale nach unten beschleunigen. Trotz zunehmender Antriebslosigkeit versucht man, seine Ziele so gut es geht weiter zu erreichen, investiert die weniger werdende Energie in die Arbeit und ist gleichzeitig immer weniger in der Lage, diese erfolgreich zu bewältigen.

Die geschilderte Abwärtsspirale kann sich in vielen Fällen ungehindert weiterdrehen, weil sich viele Betroffene ihre Probleme nicht eingestehen und keine professionelle Hilfe suchen. Anstatt sich einem Arzt oder Therapeuten anzuvertrauen, betreibt man Raubbau an Körper und Psyche. Der Verlauf der Depression wird dadurch nicht gestoppt und die Probleme mehren sich. Sind die Symptome nicht mehr zu leugnen, konsultieren viele Männer Ärzte ausschließlich deshalb, um die körperlichen Auswirkungen (Schlafstörung, Schmerzen etc.) behandeln zu lassen. Erkennt der Arzt oder Psychotherapeut die Symptome der Depression nicht, wird sich diese in vielen Fällen verschlimmern. Im schlimmsten Fall steht ein Suizid am Ende dieser Kette.

Depressionen äußern sich bei Männern häufig anders als bei Frauen. Die typischen Beschwerden, die mit einer Depression in Verbindung gebracht werden - Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit – können zwar auch bei Männern auftreten, sie stehen aber im Gegensatz zu Frauen weniger im Vordergrund. Zudem zeigt sich die Antriebslosigkeit nicht als gleich bleibender stetiger Zustand, sondern sie verläuft in einem wellenförmigen Auf und Ab. Tieftraurige und lustlose Phasen wechseln sich oft ab mit Zeiten voller überaktiver, handlungsbetonter Phasen. Übertriebenes, geschäftiges Handeln kaschiert zudem bisweilen die Niedergeschlagenheit, die hinter viel "Action" oft versteckt wird. Oft sind beide Elemente auch vermischt. Während man niedergeschlagen und lustlos ist, fühlt man sich gleichzeitig getrieben und zu geschäftigem Handeln gezwungen.

Depressionen äußern sich bei Männern häufig durch aggressives Verhalten, wie etwa in

  • erhöhter Reizbarkeit, Verstimmung, Aufbrausen
  • Aggression und Wutanfällen
  • Neigung zu Vorwürfen und nachtragendem Verhalten

Weitere mögliche Symptome sind

  • erhöhte Risikobereitschaft (z.B. im Sport und Straßenverkehr)
  • Eskapismus (exzessiver Sport oder noch mehr Zeit in der Arbeit)
  • Alkohol- und Substanzmissbrauch

Es gibt auch Symptome, die mit denen von depressiven Frauen übereinstimmen. So zeigen Betroffene häufige Rückzugstendenzen. Sie verlieren viele ihrer bisherigen Interessen, üben ihre Hobbys nicht mehr aus und ziehen sich aus ihrem sozialen Umfeld (Familie, Freunde) zurück. Die wenige verbleibende Energie wird, solange dies möglich ist, in die Notwendigkeiten des Lebens (Geld verdienen etc.) gesteckt.

Ein wichtiges Erkennungsmerkmal einer Depression ist die Schlafstörung. Männer reagieren auf verminderten Schlaf und die damit verbundene Energielosigkeit häufig mit einem erhöhten Konsum von Kaffee, Nikotin und Alkohol.

Wenig bekannt ist, dass sich eine Depression auch in körperlichen Symptomen wie unerklärlichen Schmerzen ausdrücken kann. Bei Männern treten als körperliche Symptome dabei besonders häufig auf:

  • Atembeschwerden
  • Beklemmungsgefühle
  • Unspezifische, nicht eruierbare Schmerzen (etwa Rückenschmerzen)

Wird die Depression nicht erkannt und angemessen behandelt, besteht die Gefahr, dass sie chronisch verläuft. Es besteht auch die Gefahr, dass sich chronische Schmerzen festsetzen, welche die Depression weiter verschlimmern.

Risikofaktor Pension

Eine klare Risikogruppe stellen vereinsamte Pensionisten dar, hier nehmen gesellschaftliche Zuschreibungen Einfluss. Ehemänner haben immer noch häufig die Rolle des "Brotverdieners" und sehen sich nach der Pensionierung mit einer neuen Situation konfrontiert. Das allein ist noch keine ausreichende Erklärung für einen Suizid, doch wenn weitere Faktoren wie Krisen oder psychische Erkrankungen hinzukommen und dafür keine Hilfe gesucht wird, steigt das Risiko. Der Mangel an persönlichen Beziehungen kann einen kritischen Pensionsschock begünstigen.

Bei Männern wird die Depression oft erst spät erkannt. Zum einen, weil Männer bei Beschwerden in der Regel viel später einen Arzt aufsuchen als Frauen. Zum anderen, weil Männer häufig nur die körperlichen Symptome wahrnehmen und diese nicht mit einer Depression in Verbindung bringen.

Ein ausführliches Arztgespräch – Hausarzt, dann Psychiater oder Psychotherapeut – ist immer der Grundpfeiler der Depressions-Diagnose. Eigens dafür abgestimmte Fragebögen können dabei eine große Unterstützung sein.

Mehr lesen » Die männliche Psyche leidet still

Da Männer eine Depression oft fälschlich als Schwäche und nicht als Erkrankung ansehen, versuchen sie sich häufig (erfolglos) selbst zu behandeln, bevor sie zum Arzt gehen. Eine "Selbsttherapie" mit Hilfe von Alkohol, vermeintlich leistungssteigernden Mitteln (auch Viagra gehört hier dazu) und mitunter illegalen Substanzen, führt jedoch immer tiefer in eine Negativ-Spirale.

Eine professionelle Therapie ist empfehlenswert, da Depressionen in der Regel gut und erfolgreich behandelbar sind.

Zwei Therapieformen stehen im Vordergrund: Medikamentöse Therapie und Psychotherapie (bzw. klinisch-psychologische Behandlung). Zur medikamentösen Behandlung stehen verschiedene Antidepressiva zur Verfügung. In vielen Fällen ist eine Kombination aus Psychotherapie und medikamentöser Behandlung zielführend. Bei leichten bis mittleren Formen kann Psychotherapie als alleinige Behandlungsmethode ausreichend sein.

Daneben gibt es eine Reihe weiterer zusätzlicher Behandlungsmöglichkeiten, wie

  • Ergo- und Physiotherapie (um innere Anspannungen zu lösen)
  • Magnetische Tiefenstimulation
  • Elektrokrampftherapie (falls keine andere Methode erfolgreich ist)
  • Lichttherapie etc.
  • Bei leichten Depressionen kann auch konzentrierter Johanniskrautextrakt helfen
  • Einer Selbsthilfegruppe beitreten
  • Sport und Bewegung in freier Natur
  • Gesunde Ernährung

In den letzten Jahren sind Projekte entstanden, die sich spezifischen Problemfeldern widmen. Hier sind etwa "Väter in der Krise" (www.vaeter-in-krisen.at) und "Krisen im Alter" (www.krisen-im-alter.at) zu nennen.

  • Österreichisches Bündnis gegen Depression (10.05.2023)
  • Patientenbroschüre: "Auswege. Ein Patienten-Leitfaden bei Depression und Angst", unter der Ägide der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB), S. Kasper, C. Haring, Wien, 2011

Autor:in:
Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Zuletzt aktualisiert:

10. Mai 2023

Erstellt am:

12. Mai 2014

Stand der medizinischen Information:

1. Dezember 2020

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