Binge-Eating-Störung (Binge-Eating-Disorder, Esssucht)

Buffet mit fettigen Speisen für Mensch mit Binge Eating Disorder
Betroffene einer Binge-Eating-Störung können kalorienreichen Versuchungen oft nicht widerstehen.
© Syda Productions / Shutterstock.com
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Wiederkehrende Essanfälle, die meist im Geheimen stattfinden, sind ein Kennzeichen der Binge-Eating-Störung. Psychotherapeutin Daniela Feichtenschlager erklärt, was es mit dieser Essstörung auf sich hat.

Medizinische Expertise

Daniela Feichtenschlager

Daniela Feichtenschlager, MSc

Fachärztin für Psychotherapie
Wintersberg 11, 4707 Schlüßlberg
www.psychotherapie-feichtenschlager.at
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Jeder Mensch hat wohl schon einmal mehr als nötig gegessen und sich danach schlecht gefühlt. Von einer Binge-Eating-Störung spricht man aber erst dann, wenn diese Essanfälle regelmäßig auftreten. Im Gegensatz zur Ess-Brech-Sucht (Bulimie) wird das Essen jedoch nicht wieder heraufgewürgt. Das macht sich bei den allermeisten Betroffenen dann auch auf der Waage bemerkbar: Sie sind übergewichtig oder adipös. Psychotherapeutin Daniela Feichtenschlager vom Klinikum Wels-Grieskirchen (Department für Psychosomatik für Erwachsene) spricht im Interview über die wichtigsten Fakten zur Binge-Eating-Störung.

  • Eine Binge-Eating-Störung ist eine Essstörung und äußert sich durch regelmäßige Essanfälle.
  • Betroffene erleben oft einen Kontrollverlust und sind häufig übergewichtig oder adipös.
  • Zu den Risikofaktoren zählen ein geringes Selbstwertgefühl, Depression oder Missbrauchserfahrungen.
  • In der Psychotherapie erlernen Betroffene unter anderem ein gesundes Essverhalten und Gefühle wieder wahrzunehmen.
  • Bei Gruppentherapien haben Betroffene die Möglichkeit mit anderen Patient:innen ins Gespräch zu kommen und Hilfestellung zu erhalten.

Die Binge-Eating-Störung äußert sich dadurch, dass die Essanfälle wiederholt auftreten und in einem bestimmten Zeitraum (z.B. innerhalb von 2 Stunden) große Nahrungsmengen aufgenommen werden. Die Betroffenen spüren einen Kontrollverlust – sie können nicht mehr kontrollieren, was oder wie viel sie essen. Solche Essanfälle müssen mindestens 1 Mal pro Woche über einen Zeitraum von 3 Monaten hinweg auftreten, bevor die Diagnose Binge-Eating-Störung gestellt werden kann.

Das ist leider sehr schwierig, da das Essen in der Regel heimlich stattfindet. Die meisten Betroffenen reißen sich in der Öffentlichkeit zusammen und essen erst dann viel, wenn sie unbeobachtet sind. Als Außenstehender bemerkt man im Lauf der Zeit die mehr oder weniger starke Gewichtszunahme. Das veränderte Essverhalten ist ein Hilfeschrei – und manchmal öffnen sich die Betroffenen auch ihren engsten Vertrauten und erzählen irgendwann von ihrem Problem.

Die Gründe, warum manche Menschen eine Binge-Eating-Störung entwickeln, sind sehr weitläufig und auch aktuelle Forschungsbefunde können noch keine eindeutige Aussage darüber machen. Vor allem psychologische Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen: Ein negatives Selbstkonzept und ein geringes Selbstwertgefühl können ebenso wie Gewichtssorgen, ein gestörtes Essverhalten in der Kindheit oder Hänseleien wegen Übergewicht eine Rolle spielen. Menschen mit Missbrauchserfahrungen oder starkem Perfektionismus sind gefährdet, eine Essstörung zu entwickeln. Bewegungsmangel und fettreiche Ernährung begünstigen die Binge-Eating-Störung ebenso.

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Eine multimodale Behandlung mit Einzel- und Gruppenpsychotherapie hat sich bei der Binge-Eating-Störung als zielführend erwiesen. In einer Klinik kann das richtige Essverhalten eingeübt werden, dann sollen die Patienten es auch alleine im Alltag probieren. Danach kommen sie wieder in die Klinik zurück. Medikamente werden bei der Behandlung der Binge-Eating-Störung nicht eingesetzt, außer sie tritt z. B. gemeinsam mit einer Depression auf.

Dort erlernen die Betroffenen ein Essverhalten, das sie auch langfristig durchhalten können. Es geht nicht darum, z. B. Süßes ganz aus dem Ernährungsplan zu streichen – sondern zu lernen, wieder genussvoll zu essen. Außerdem üben die Patienten, ihre Gefühle wahrzunehmen und zu unterscheiden: Wer nicht spüren kann, ob er zornig oder traurig ist, spürt oftmals auch kein Sättigungsgefühl. Viele essen als Belohnung oder um sich über Konflikte hinwegzuhelfen. Hier wird in der Therapie nach alternativen Verhaltensweisen gesucht, um mit solchen Situationen umzugehen. Die meisten Betroffenen bewegen sich auch im Alltag zu wenig – die Motivation zu regelmäßiger Bewegung wird in der Therapie ebenfalls gefördert.

Es ist wichtig, geregelte Mahlzeiten und mehr Achtsamkeit beim Essen einzuführen. Viele von Binge-Eating betroffene Menschen stopfen einfach nebenbei irgendetwas in sich hinein. Bei Essen ist es leider anders als bei einer Alkoholsucht: Man kann es nicht ganz aus dem Leben streichen. Deswegen ist auch eine engmaschige Nachsorge wichtig um Rückfälle zu vermeiden.

Das muss sehr genau auf die Bedürfnisse des Betroffenen abgestimmt werden und ist eine regelrechte Gratwanderung. Manche wollen unterstützt werden, etwa durch gemeinsames Kochen, Essen und Bewegen. Andere fühlen sich dadurch eingeengt und kompensieren schlimmstenfalls ihre Unzufriedenheit wiederum durch heimliches Essen. Immer sinnvoll ist es aber, die Person dazu zu motivieren, sich Hilfe von einer neutralen Stelle zu holen.


Medizinisches Review:
Erstellt am:

3. Juli 2017

Stand der medizinischen Information:

3. Juli 2017


ICD-Code:
  • F50

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